Heft 
(1892) 70
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Das Wachsthum der Energie in der geistigen und organischen Welt.

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pfindungen und Gedanken in der Innenwelt an ihre Stelle treten, Empfindungen und Gedanken, die für sich weder eine räumliche Existenz noch eine räumliche Bewegung haben.

Wir wissen nicht, ob in der Innerlichkeit der Sauerstoff- und Wasserstoff-, Eisen- und Phosphoratome etwas vorgeht, wenn sie Wasser, Rost, Phosphorsäure bilden, wenn sie im menschlichen Organismus ein- und ausgehen, oder wieder aus ihren Verbindungen geschieden werden; ist alles Aeußere Aeußerung innerer Wesenheit und Kraft, dann dürfen wir das annehmen; aber das wissen wir: daß in uns selbst, den lebendigen Organismen, etwas vorgeht, denn diese Vorgänge unserer Empfindungen, Vorstellungen, Triebe und Willensregungen sind uns ja das un­mittelbar Gewisse; und wie wir aus ihnen die wirkenden Kräfte der Außen­welt erschließen, so folgern wir mit gleichem Recht, nach dem gleichen Kausal­gesetz die wirkende Kraft und Wesenheit der Innenwelt, ja unser Selbst erschließen wir nicht bloß, sondern erleben es im Selbstgefühl wie in der Thätigkeit unseres Denkens, in der Einheit unseres Bewußtseins. Selbstgefühl ist das Erlebniß, das denknothwendig ein sich selbst ersaffendes, sür sich seiendes Reales voraus­setzt, eine Subjectivität, nicht als bloßes Ergebniß oder Phänomen eines Anderen, sondern als sich selbst bestimmende, als Ich sich setzende Thätigkeit; zum Selbst kann ich nicht gemacht werden, so wenig Jemand sür mich denken und wollen kann; selbst bin ich nur durch mich selbst.

Es gibt also sich selbst erfassende, subjectiv für sich seiende Wesen, denn wir selbst sind solche, einheitlich in der Fülle, dauernd in dem Wechsel unserer Lebens­acte; wir erhalten uns selbst und behalten, was wir erfahren und thun, und erleben darin das Wachsthum unserer Innenwelt, die Steigerung unserer Energie, indem wir mittels des Errungenen höhere Leistungen vollziehen, und in uns über dem Naturmechanismus ein Reich der Freiheit und Sittlichkeit aufbauen: die Idee des Rechts und ihre Gestaltung im Staat, die Ideen des Guten, Wahren, Schönen und ihre Verwirklichung in Thaten, in Religion, Kunst und Wissen­schaft.

Dies unser geistiges Leben haben wir innerhalb des leiblichen Organismus, dem Organ unseres Weltzusammenhanges, indem wir durch ihn unsere Gedanken äußern, unsere Willensentschlüsse ausführen, und ebenso die Bewegungen der Außenwelt in uns ausnehmen. Sie treffen auf unsere Sinnesorgane, und von den Nerven zum Gehirn geleitet bringen sie in den Ganglienzellen desselben eine Erregung hervor, aus welcher wir die Empfindungen der Wärme, des Lichtes, des Schalles als Lebensacte unserer fühlenden Innerlichkeit bilden; diese Em­pfindungen liefern den Stoff zu den Bildern der Dinge, die wir in unserer An­schauung entwerfen, zu den Vorstellungen und Ideen, die wir daraus gestalten und entwickeln. Unser Weltbild, die Erscheinungswelt, die wir im Zusammen­wirken der Kräfte außer uns mit der Kraft in uns innerlich erzeugen und außer uns in die Anschauungsformen von Raum und Zeit versetzen, sie ist von unserer Subjectivität getragen und bedingt. Außer uns vorhanden sind nach der Lehre der Physik Wellenschwingungen der Luft und des Aethers; aber wir nehmen in der Secunde nicht 440 von jenen, 450 Billionen von diesen wahr, wenn wir den Ton u hören, die rothe Farbe sehen, sondern wir übersetzen sie innerlich in