Heft 
(1892) 70
Seite
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Deutsche Rundschau.

diese einfachen Empfindungen; erst in uns erklingt und leuchtet, was außer uns als lautlose, dunkle Bewegung vorhanden ist. Johannes Müller wies auf die specifischen Energien unserer Sinneswerkzeuge hin, welche uns diese Umgestaltung vermitteln, wenn derselbe elektrische Funke säuerlichen Geschmack, phosphorartigen Geruch, prickelndes Gefühl, Knistern und blitzendes Licht hervorruft, und Helm- holtz betonte, daß Bewegungen freier Körperatome auf die Schleimhäute unserer Nase etwas Anderes sind als Rosenduft, Farben und Töne etwas Anderes als Aether-und Luftwellen; er folgerte daraus, daß unsere Empfindungen nach ihrer Qualität nur Zeichen für die äußeren Objecte sind, durchaus nicht Abbilder von irgend einem Grade der Aehnlichkeit, Zeichen, in welchen die Außendinge zu uns reden, eine Sprache, die wir durch Erfahrung und Uebung verstehen lernen. Zerstört ist hiermit der Wahn, als ob wir passive Spiegel seien, die eine leuch­tende, klingende, warme, duftreiche Welt nur in sich aufnehmen; erwiesen ist die Activität unserer für sich seienden Innerlichkeit, welche die Sinnesempfindungen als ihre Lebensacte hervorbringt. Sie sind Urphänomene, Erlebnisse, die wir deshalb nicht beschreiben können, die jeder in sich selbst erfahren muß. Sie bilden unseren Bewußtseinsinhalt, aber sie sind doch nicht eine Zeichensprache, die wir erst erlernen müßten, Niemand braucht zu lernen, wie Wein schmeckt, wie das Feuer brennt und der blaue Himmel leuchtet, Jedermann über­trägt seine Anschauungsbilder aus die Dinge außer ihm und ist darum in der Welt orientirt, weil sie ja im Spiegel seiner Seele erscheint und daraus reflectirt. Wir gehören zur Welt, und es gehört zum wichtigsten Geschehen, daß die Bewegungen der wirkenden Kräfte zu Empfindungen den Anlaß geben, die nicht etwa willkürliche Zeichen für dieselben sind, sondern in der That Eigen­schaften der Dinge, das heißt Ergebnisse ihrer Wechselwirkung unter einander und mit uns. Die Verhältnisse der Körper in ihrem Verhalten zu den Aetherwellen empfinden wir in der Farbe, erheben wir in der Farbe aus der Aeußerlichkeit in die Innerlichkeit; die Farbenempfindung ist das Ergebniß selbst, nicht sein Zeichen. Die fühlende Innerlichkeit, unsere Sinnesorgane, die Aetherwellen er­scheinen in einer Zusammenstimmung, die kein Zufall sein kann; es ist unsere innerliche Anlage, durch Luft- und Aetherwellen zum Sehen und Hören, zu Tönen und Farben erregt zu werden; Empfindungen sind uns so wenig an­geboren Wie Ideen, Wohl aber tragen wir Anlagen und Normen der Thätigkeit als wesentlich in uns, und in der Natur treten die physikalischen Kräfte, die physiologischen Reize an uns heran, und so bilden wir die Empfindungen, und aus ihnen Anschauungen, Vorstellungen, Begriffe. Ich kann darum nicht mit Helmholtz sagen:Fast könnte man glauben, die Natur habe mit Entschiedenheit jeden Traum einer prästabilirten Harmonie der inneren und äußeren Welt zerstören Wollen;" denn Innenwelt und Außenwelt sind für einander da, sind ursprünglich auf einander bezogen; ihre Harmonie ist allerdings nichts Fertiges, sie wird durch uns selbst verwirklicht; die Bedingungen für sie liegen in der Mechanik der Luft- und Aetherwellen, im Bau unserer Sinneswerkzeuge und unseres Ge­hirns, in der Empfindungsfähigkeit unseres Wesens; und in unserem Fühlen, Denken und Wollen, wie in unserem Handeln erreichen beide Welten ihre Be­stimmung, ihren Zweck.