Heft 
(1892) 70
Seite
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Das Wachsthum der Energie in der geistigen und organischen Welt.

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Je näher wir diese Verhältnisse erwägen, desto überzeugender wird die An­sicht: es ist ein und dasselbe Princip, welches in uns hört und sieht, denkt und will, und welches sogleich den Leib zürn Organ seines Empfindens und Wirkens gestaltet, eingegliedert in den Weltzusammenhang als Naturkraft und bewußtseins­fähige, ideale Wesenheit, äußerlich im Mechanismus der Raumbewegungen objectiv real, innerlich für sich selbst, im Wechsel der Vorgänge sich erhalten, das einmal Gewonnene behaltend, und dadurch wachsende, sich steigernde Energie. So rechtfertigt sich uns die volksthümliche wie Aristotelische Ansicht von der Seele als dem Lebensprincip, und dem Dualismus stellt sich der Monismus gegenüber, nicht der materialistische, der den Geist zum bloßen Phänomen des Stoffes macht, nicht der spiritualistische, der allein in den Vorstellungen Wahr­heit sieht und die Realität der Dinge zum Schein verflüchtigt, sondern der ideal­reale, der in dem einen Wesenkern den Quell der leibgestaltenden Lebenskraft und des Bewußtseins, der Empfindungen und Ideen, des Wollens und Bildens sieht. Es ist dann dieselbe Phantasie, welche im Leibe sich ihr Organ des Welt­zusammenhanges schafft, aus den Empfindungen die Vorstellungen entwickelt und die Ideen des Guten, Wahren, Schönen veranschaulicht. Nur so wird es uns verständlich, daß wir die Welt in uns ansnehmen und von unserem Geiste aus auf sie wirken.

Daß die organisirte Materie andere, höhere Leistungen vollbringt, als die unorganisirte, wird Angesichts der fortwährenden Selbstbildung, der Fortpflanzung der Empfindung auch der Materialist nicht leugnen; das Kausalgesetz fordert eine Ursache dieser eigentümlichen Wirkungen, und wie die Materie sich als das Phänomen der wirkenden Atomkräfte ergab, so setze ich an die Stelle der rätsel­haften , allgemeinen Lebenskraft als Träger des empfindenden und selbstbewußt Lebenden, das immer individuell ist, die Fülle der Organisationskräste, die ein­gegliedert in den Weltzusammenhang nicht gegen die Gesetze der anorganischen Kräfte, aber diesen Gesetzen gemäß mittels ihrer den Organismus gestalten, mittels des­selben in Wechselwirkung mit der Natur das Reich des Geistes in ihrer Innerlich­keit aufbauen. Wir sind Ich, insofern wir uns selbst setzen, da hat Fichte Recht, das Selbst ist durch sich Selbst; aber diese sich selbst bestimmende Thätigkeit be­darf ebenso gut wie die Bewegung im Raum eines Realen, das sie vollzieht; unser Bewußtsein ist diese Selbstbeleuchtung, Selbsterscheinung, Selbsterfassung eines Realen, und es erweist und bethätigt sich als Eines; es ist kein Summations­phänomen vieler dunkeler Zellbewegungen, sondern das klare Licht eines für sich seienden Einen, in dessen Stimmung jene dunkeln Regungen als Glieder seines Organismus hineinklingen, das aber als Centralmonade im Selbstgefühl die Bürgschaft seiner Realität noch sicherer hat als das Gefühl des Widerstandes, den es erfährt, ihm Zeugniß von der Wirklichkeit der Außenwelt gibt.

Wenn man noch so sorgsam die äußern Formen des Geschehens im organischen Leben beobachtet und zusammenstellt, der innere Gehalt des Seelischen, Empfindung, Bewußtsein, Wille, werden damit nicht aus ihnen abgeleitet. Wie kommt es, daß dieser Mechanismus in einander verschlungene Bewegungen auch verinnerlicht, auch gefühlt und gewollt wird, daß ein Ich sich in ihm über ihn erhebt? Die Physiologie betrachtet den Lebensproceß, wie er räumlich sich abspielt, sie