Heft 
(1892) 70
Seite
398
Einzelbild herunterladen

398

Deutsche Rundschau.

erforscht den causalen Zusammenhang der äußern Thatsachen; aber keine äußere Erfahrung, nur die innere kann uns lehren, daß dabei auch Seelenzustände em­pfunden, auch Vorstellungen gedacht werden, und nur von unsrer eignen inneren Erfahrung aus schließen wir aus den Aeußerungen andrer Wesen auf seelische Vorgänge, die den unfern verwandt sind. Die räumlichen Erscheinungen sind ununterbrochen causal verknüpft, unser Denken entwickelt sich bald nach logischen Gesetzen, bald folgt es den Sprüngen und Flügen der Phantasie; es ist das Problem der Philosophie, den Faden zu finden, welcher beide Welten verknüpft. Hält man Geist und Natur dualistisch auseinander, so ist nicht erfindbar, wie ein raumloser Geist auf die Räumlichkeit des Leibes bestimmend einwirken kann, und so nahm Geulinx die fortwährende Leistung Gottes in Anspruch, der, wenn ich schreiben will, die Bewegung meiner Handmuskeln erregt und leitet, und durch das hier angezogene Wunder löst er das Erlebniß, daß ich sogleich der denkend Wollende und der Schreibende bin, in Schein auf. Auch die prästa- bilirte Harmonie von Leibniz befestigt die Kluft zwischen den Wesen, macht Auto­maten aus den Monaden und hebt die Wechselwirkung auf, statt sie zu er­klären. Daß aber die eine Substanz, das gemeinsame Wesen der Dinge, in der doppelten Daseinsweise der Ausdehnung und des Denkens nicht bloß in unsrer Auffassung erscheint, sondern daß die Ordnung und Verkettung der Gedanken dieselbe ist wie die der Dinge und ihrer Vorgänge, diese Lehre Spinoza's ver- einerleit das Unterschiedene, wie Nothwendigkeit und Freiheit, Natur und Sittlich­keit; sie erklärt den Jrrthum nicht oder schreibt ihn dem unfehlbaren Natur­mechanismus zu, und kann das Unmögliche nicht möglich machen, daß nämlich durch äußere Ursache dies Selbst hervorgebracht werde, das stets aber durch eigne Willensthat sich erzeugt. Wie kann das Immaterielle, ein Gedanke, eine Willensregung in das Getriebe der materiellen Welt eingreifen, das nach dem Gesetz der Erhaltung der Energie verläuft? Wie können räumliche Bewegungen Empfindungen Wecken oder sich in solche auslösen? Das ist das Welträthsel, vor welchem nach Du Bois-Reymond die analitische Mechanik still steht. Aber das Räthsel ist ja tatsächlich gelöst, und der unbefangene Sinn, das Selbst­gefühl des Menschen hat das Wort des Räthsels in der Seele und in Gott ge­sunden. Schließt ihm die Philosophie sich an, so erkennt sie in allem Aeußern die Aeußerung eines Innern, im All ein System von Kräften, neben den selbst­losen die selbstseienden, die den Quell der Organisation und des Bewußtseins in sich tragen, in Wechselwirkung mit der anorganischen Natur den organischen Leib gestalten, und in uns mit ihm ebenso die eigene Innerlichkeit kund geben wie die Bewegungen der Außenwelt in Empfindungen Umsetzern Daß die Bildung des Auges den Brechungsgesetzen der Aetherwellen entspricht, zeigt uns, wie Innen- und Außenwelt für einander da sind, für einander geordnet sind, einen gemeinsamen Lebensgrund haben, der damit ein intelligenter, nicht bloß Natur- macht, sondern auch Geist ist. Wir brauchen die Lösung des Welträthsels nicht in einem transscendentalen Jenseitigen zu suchen: wir haben hier ein gegenwärtiges Erlebniß, wo wir die Seele als das Band der natürlichen und geistigen Welt, als reale Naturkrast, als Lebenskraft wie als die Trägerin unserer Gefühle und Gedanken erkennen. Sie hat den Leib sich selber anorganisirt, darum kann sie