Das Wachsthum der Energie in der geistigen und organischen Welt.
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könnten wir von Veränderungen ja gar nicht reden. Die Thatsache der Organismen, die kein bloßes Haufwerk anorganischer Stoffe sind, und Leistungen zeigen, welche außer ihnen nicht Vorkommen, weist auf das einige Lebensprincip, das in unserem Selbstbewußtsein sich erfaßt und bezeugt. In der seelischen Innenwelt haben wir das Wachsthum der Energie durch das Behalten des einmal Gewonnenen; dies setzt ein Behaltendes voraus, das durch sein Thun mittels des Gedächtnisses wir mittels der Uebung der Kraft seine Energie steigert, und durch Einübung der Organe diese selbst ausbildet, zu höheren Leistungen befähigt. So wird das Wachsthum der Energie in der organischen Welt von innen her bedingt, und so wird die aufsteigende Entwicklung der Lebewesen erklärt. Durch das Wachsthum des Inneren gewinnt aber die Außengestalt der Organismen höhere ihm entsprechendere Formen, und wir verstehen nun die Worte Goethe's bei der Betrachtung von Schillers Schädel:
Was kann der Mensch im Leben mehr gewinnen Als daß sich Gott-Natur ihm offenbare,
Wie sie das Feste läßt zu Geist verrinnen Und wie das Geisterzeugte fest bewahre.
In der anorganischen Natur herrscht das Gesetz der Erhaltung der Energie aber sie bereitet den Boden und die Grundlage für die Geschichte, für die Entwicklung des Innenlebens, das sich wiederum in der Aus- und Fortbildung der Organismen selbst bethätigt. So erscheint uns das All als ein System von Kräften, die nicht isolirt wie Leibnizische fensterlose Monaden sich entwickeln, sondern vielmehr für einander sensteroffen, auf einander bezogen sind, sodaß die Welt in ihrer Wechselwirkung besteht. Während in der Außenwelt die Bethätigung der Kräfte im Wechselspiel der Bewegungen sich erhält, steigert sie sich in der Innenwelt, und bieten selbstlose Atomkräfte sich zum Stoff und zur Lebensbedingung der selbstseienden Organisationskräfte, die eingegliedert in den Weltzusammenhang die räumlichen Bewegungen in Empfindungen auslösen und ihr Selbstbewußtsein, ihr Denken und Wollen wieder in Bewegungen äußern, indem sie die in leiblichen Organismen angesammelten Spannkräfte zu der ihnen bestimmten Wirksamkeit entbinden. Ein System von Kräften in allseitiger Wechselbeziehung ist aber keine ursprünglich auseinanderliegende Vielheit von einander unabhängiger Atome, sondern die Entfaltung und Selbstbestimmung ursprünglicher Einheit, die ordnend Alles durchdringt, in ewiger Schöpsungsthat die eigne Wesenheit verwirklicht. Das Eine unterscheidet sich selbst in der Fülle aus einander bezogener Einheiten, deren wesenhaste Realität sich in der Unzerstörbarkeit der chemischen Elemente, wie in der Selbsterfassung und Selbstbestimmung der Seelen erweist. Daß der Unterschied zum Gegensatz sortschreiten kann, daß die sich selbst suchende, durch eigne Willensthat zu sich selbst kommende Seele selbstsüchtig sich von den Mitwesen und dem gemeinsamen Lebensgrunde in ihrem Willen und Wissen abscheiden und für sich allein sein kann, diese Erfahrung von der Sünde und von der Macht des Bösen in der Welt wird uns nun ebenso erklärlich, wie andrerseits auch die erlösende Macht der Liebe, des sich fortwährend bezeugenden göttlichen Geistes, in dem wir weben und sind, und
Deutsche Rundschau. XVIII, 6. 26