Catull.
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Bedingungen gelingen. Hehse's ganzes Geistesleben hatte seine Richtung und seine Ziele durch die Traditionen unserer klassischen Zeit erhalten: zu der antiken Poesie ein innerliches Verhältniß zu gewinnen, war ihm ein Lebensbedürfnis. Er las den Dichter „in des Dichters Lande", das ihm zur zweiten Heimath geworden war; seit 1832 lebte er (mit Ausnahme der Jahre 1861—1865) bis zu seinem Tode in Italien. „Auf Ihren Worten," so schrieb 1871 der Biograph Winckelmann's an ihn, „Ihrem Empfinden und Leben liegt ein Widerschein jenes höheren göttlichen Gestirns der Poesie, Liebe, Schönheit, und so begrüßen wir Sie wie einen Genius des Orts in dem Lande, wo die höhere Menschheit nur aus zerfallenden Denkmälern der Vergangenheit zu uns spricht^)." Er war nicht bloß in seltenem Grade Meister der Sprache und der Verskunst: er war auch. Wie seine hinterlassenen Gedichte zeigen, eine poetisch begabte Natur. „Seine Stärke lag in der Fähigkeit des Anempfindens: die Natur hatte ihm dazu die feinsten Sinne gegeben, die er durch treue Uebung überaus gebildet hatte." „Die Sorge um seinen Liebling Catull, mit dem er in so mancher Hinsicht sich verwandt fühlte, begleitete ihn durch das Leben." Seine Uebersetzung, eine in zwei Decennien langsam herangereifte Arbeit, war seit Jahren vollendet, als er sich durch seinen Neffen, Paul Heyse, 1853 bewegen ließ, sie zu veröffentlichen. Aber auch nachdem es geschehen, hat er „mit unwiderstehlicher Leidenschaft" immer wieder an seinem Catull „gepinselt und getüpfelt"; er that sich nie genug in dem Streben, „wenigstens in der Mehrzahl der Gedichte ein non plus ultra der Vollendung in Ausdruck, Klang und Bewegung zu erreichen." Diese mannigfachen Aenderungen forderten eine völlig umgearbeitete neue Auflage des Buches <bei welcher der in der ersten enthaltene, mit allzu subjectiver Kritik redigirte lateinische Text mit Recht weggelassen ist). Der Herausgeber derselben, August Herzog, hatte überall die Wahl zwischen der ersten Fassung und den (nicht selten zu sehr gekünstelten) Neuerungen zu treffen; auch, wo zu einer neuen Gestaltung nur verschiedene Ansätze vorhanden waren, das Letzte selbst zu versuchen ^). Daß er seine überaus mühevolle Ausgabe in der anerkennenswerthesten Weise gelöst hat, wird auch von denen nicht bestritten werden, welche hier und da die Wahl anders getroffen haben würden. Da nun die neue Auflage „leider nicht durch buchhändlerisches Bedürsniß" veranlaßt ist, sondern der Verleger sich dazu in gerechter Würdigung der Meisterleistung Heyse's entschlossen hat, ist es Wohl immer noch nicht überflüssig, auf diese Perle unserer Uebersetzungsliteratur hinzuweisen.
Catull, der Sohn eines edlen Veronesers, der Julius Cäsar's Gastfreund war, kam früh nach Rom, und schon seit Anlegung der Männertoga füllte Poesie und die „bittersüße Beseligung" durch Frauenliebe sein Leben aus. Der Tod eines innig geliebten Bruders, der in Troja starb, versenkte ihn für längere Zeit in tiefe Trauer:
Doch all' dieses Getreide verscheuchte der Schmerz um des Bruders Plötzlichen Tod — Weh mir, Bruder, dem Armen geraubt!
Du hast scheidend, o Du, mein Dasein niedergetrümmert,
Mit Dir sank in die Nacht unseres Hauses Gestirn;
0 A. Herzog, Theodor Hehse, ein Lebensbild. Beilage der Münchener Allgemeinen Zeitung, 23. bis 26. October 1889.
ch Vorrede des Herausgebers zur zweiten Auflage.