Heft 
(1892) 70
Seite
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Catull.

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In diesensonnenhellen Glückstagen" entstanden die beiden berühmten Ge­dichte aus den Lieblingsvogel der Lesbia, dessen Tod in dem zweiten beklagt wird: Ach, todt ist er, der Sperling meiner Liebsten,

Jener Sperling, die Freude meiner Liebsten,

Den sie zärtlicher liebt' als ihre Augen.

War so herzig und war so gut, und kannte Sie so gut wie ein Kindchen seine Mutter.

Denn nie wollt' er von ihrem Schoße weichen,

Sondern hüpfend im Kreise, hier- und dorthin,

Immer sah er die Herrin an und piepte.

Und nun wandert er jenen düsterlichen Weg, den, sagen sie, Keiner noch zurückkam.

Doch daß komme Dir Leid, Du leidig finst'rer Orcus, der Du verschlingst, was liebenswerth ist!

Solch' ein liebliches Vögelchen umzubringen!

Q des Frevels! Du armer, armer Sperling!

Um dich weinet sich jetzt die süße Herrin Roth die Aeugelein, die von Thränen schwellen*).

Doch das Glück des Dichters blieb nicht lange ungetrübt. Lesbia zeigte sich bald kühl und gleichgültig, und die Manneswürde forderte, daß er sie mied. Wie wenig er sich die Kraft zutraute, sich aus ihren Fesseln loszureißen, zeigt ein Gedicht, dessen gebrochener (choliambischer) Rhythmus seinen inneren Zwiespalt malt: die ersten Zeilen lauten:

Hör' auf, Catullus, deinem Wähn zu liebkosen,

Und was verloren, laß verloren sein, Aermster!^)

Als Lesbia dann zu demSehnenden, kaum noch Hoffenden" zurückkehrte, war sein Glaube an ihre Beständigkeit schon tief erschüttert, und er betete:

Gebt denn, ewige Götter, daß wahrhaft sei die Verheißung,

Daß sie in ernsterem Sinn, daß sie von Herzen es sagt!

Aber auch als jene innige Neigung, die er mit der Liebe eines Vaters zu seinen Söhnen und Schwiegersöhnen vergleicht, mehr und mehr geschwunden war, behielt die Leidenschaft noch lange Macht über ihn. Wie Liebe und Haß in seinem Herzen kämpften, spricht er in jenen von Fsnelon bewunderten Zeilen aus, derenleidenschaftliche Einfachheit" die Uebersetzung allerdings nicht wieder­zugeben vermag:

Liebe verfolgt mich und Haß. Und warum? fragt Einer. Ich weiß nicht;

Aber ich fühl' es einmal, fühl' es und leide darum!

Dieser an feinem Leben zehrenden Qual widerstreitender Empfindungen hat er den ergreifendsten Ausdruck in einem andern Gedichte gegeben, das mit folgen­dem, aus tiefsten Herzen kommenden Gebet schließt:

Ewige Götter, bewegt Mitleid euch irgend, und habt ihr

Je an der Schwelle der Gruft Sterblichen Hülfe gelieh'n,

Seht mich Leidenden an, und war mein Leben in Reinheit,

Nehmt dies gräßliche Gift, dieses Verderben von mir,

*) 3, 3-18.

2) 8 , 1. 2. Ter erste Vers lautet in der zweiten Auslage weniger gut: Gieb auf, Catullus greb sie auf, die Thorheiten!