Heft 
(1892) 70
Seite
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Catull.

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nach einer noch nicht dagewesenen Formvollendung, und zwar im engsten Anschluß an griechische Vorbilder, vor Allem die am leichtesten zu erreichenden alexandri- nischen. Sie versuchten sich in den von den Alexandrinern vorzugsweise gepflegten Gattungen, der Elegie, dem Epigramm und dem kurzen Epos, und nahmen auch ihre poetische und metrische Technik bis ins Kleinste zur unverbrüchlichen Norm, mit jener für die Römer so charakteristischen Ehrfurcht vor der unbedingten Ueber- legenheit der Griechen auf allen Gebieten der Kunst. Wie ernst es Catull mit der Verwirklichung des neuen Kunstevangeliums nahm, zeigen einige Cabinets- stücke, die mit liebevoller Sorgfalt zur höchsten Vollendung ausgearbeitet sind: hier liebte er auch seine Virtuosität in der Verskunst in spielender Bewältigung der größten Schwierigkeiten zu zeigen. Die Perle dieser alexandrinisirenden Dichtungen ist ein kleines Epos von der Hochzeit des Peleus und der Thetis, in welchem Wohl Niemand den Dichter des Sperlings der Lesbia erkennen würde. Die feierliche Pracht der Sprache und der würdevolle Rhythmus der gemessen einherschreitenden Hexameter entrücken den Leser in eine ideale Sphäre, in der­er sich bis zum Schluß festgehalten fühlt. Der Anfang schildert die Fahrt der Argo, des ersten Schiffs, das die Gottheiten des Meeres erblickten.

Denn alsbald es den Zahn in die windige Flüche hineinstieß,

Daß von den Rudern erwühlt das Gewog weißschäumend erglänzte,

Siehe, da tauchten hervor aus graulichem Strudel des Meeres Nereidengesichter, den Wunderbesuch anstaunend.

Da, wenn irgend einmal, war sterblichen Augen bewilligt,

Nackenden Leibes zu schan'n jungfräuliche Meergöttinnen,

Bis an die Brust aufragend im Gischt der versilberten Welle.

Da für Thetis entglomm, so erzählt man, Liebe dem Peleus,

Da auch Thetis erschien nicht abhold menschlicher Ehe,

Da gab Thetis zusammen und Peleus selber der Vater 0-

Doch ohne Zweifel hat Catull nicht bloß die alexandrinische, sondern die gesammte griechische Poesie gründlich studirt. Vor allen andern Dichtern war ihm Sappho congenial. Ein Hochzeitsgesang in Wechselchören von Jünglingen und Jungfrauen ist (mindestens theilweise) eine Nachbildung eines ihrer Gedichte. Beim Aufgange des Abendsterns soll die Braut dem Bräutigam zugeführt werden. Die Jungfrauen fingen:

Hesperus, wandelt am Himmel ein Stern grausameren Scheines?

Der du ein Töchterchen kannst wegzieh'n ans Mutterumarmung,

Kannst aus den Armen der Mutter die sträubende Tochter hinwegzieh'n Und dem erglühenden Mann hinliefern ein sittiges Mägdlein.

Könnte der Feind in eroberter Stadt Grausameres wagen?

Hymen, o Hymenäus, o Hymen, komm' Hymenäus.

Die Jünglinge erwidern:

Hesperus, leuchtet am Himmel ein Stern willkommneren Scheines?

Du, deß Flamme den Bund der versprochenen Ehe besiegelt,

Der von den Männern beschlossen zuvor und den Eltern beschlossen,

Sich nicht eher erfüllt als bis dein Segen heraufglüht,

Könnten die Götter am Tage des Glücks Erwünschteres geben?

Hymen, o Hymenäus, o Hymen, komm' Hymenäus.

i) 64. 12-21.