Heft 
(1892) 70
Seite
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Deutsche Rundschau.

Auf eine nochmalige Klage der Jungfrauen über den Aufgang des Abend­sterns antworten sie:

Aber die Mägdlein freut's, Dich zu schmäh'n mit erdichteter Klage.

Wie? und sollten sie schmäh'n, was still ihr Herz sich ersehnet?

Sie beschließen den Wettgesang mit folgender Ermahnung an die Braut:

Doch Du wolle mit solchem Gemahl nicht streiten, o Jungfrau.

Unrecht wäre der Streit: ihm gab Dein Vater, es gab Dich Ihm mit dem Vater die Mutter, und Pflicht ist's, Beiden gehorchen.

Nicht Dir einzig gehört Dein Kränzchen, den Eltern gehört's auch:

Ist ein Drittel des Vaters, das andere Drittel der Mutter,

Nur ein Drittheil Dein; eins hadere wider die Zwei nicht,

Die zu der Mitgift gaben dahin ihr Recht an den Eidam.

Hymen, o Hymenäus, o Hymen, komm' Hymenäus^).

Abgesehen von diesen ganz oder theilweise unter dem Einfluß griechischer Vorbilder entstandenen Stücken sind alle Gedichte Catullls wahre Gelegenheits­gedichte im Sinne Goethe's. Die verschiedensten Tonarten hat er in seinen Hendekasyllaben und Jamben immer mit gleicher Sicherheit und Reinheit an­geschlagen. Muthwilliger Scherz, inniges Gefühl, behagliche Plauderei, neckischer oder derber Spott, bitterer Hohn, leidenschaftliche Jnvective Alles steht ihm gleich sehr zu Gebot, und damit ist die Mannigfaltigkeit der Gattungen noch nicht erschöpft. Einmal erzählt er, wie er sich habe verleiten lassen, vor der Maitresse eines Freundes zu prahlen, daß er sich in Bithynien doch wenigstens acht Sänftenträger angeschafft habe:

(Zwar nicht Einen besaß ich, hier wie damals,

Der das alte Gerumpel meines Faulbetts Auf den Nacken sich hätte packen können.)

Sogleich bittet sie ihn, ihr die Burschen einmal zu leihen, sie wolle sich in den Serapistempel tragen lassen:

Gemach nur, unterbrach ich;

Was mir eben entfiel, daß mir gehörte,

Da verwechselt' ich was; ein guter Freund ist's,

Cinna eigentlich, Gajus, war der Käufer.

Zwar ob sein sie, ob meine, was verschlügt mir's?

Ich gebrauche sie ganz wie meine eig'nen.

Nur Dein dummes Betragen find' ich eklig,

Wenn kein lässiges Wörtchen soll erlaubt sein2).

Ein anderes Mal schreibt er an einen Freund:

Speisen sollst Du bei mir, und gut, Fabullus,

Nächster Tage, sofern die Götter wollen,

Wenn Du selber ein wohlbestelltes Essen

Mit Dir bringst und ein hübsches Mädchen mitbringst,

Wein nicht minder und Salz und Lust und Lachen.

Bringst Du obiges, schöner Freund, so sollst Du Sehr gut speisen; denn Dein Catullus leider Hat den Beutel gefüllt mit Spinneweben.

_Dafür aber erhältst Du reine Wollust,

0 62, 19 sf.

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