Heft 
(1892) 70
Seite
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Deutsche Rundschau.

fünf Tage früher vom Hafen ausgelaufen waren, auf offener See von Influenza heim gesucht wurden. Man hat diese Thatsache gegen die Ansteckung durch un­mittelbare Berührung verwandt, indem man hinzufügte, daß in den betreffenden Hafenorten von dem Herrschen der Influenzanichts bekannt gewesen sei." Wie leicht kann ein mit Jnfluenzakeimen behafteter, zugereister, gesunder Dritter hier die Seuche aufs Schiff geschleppt haben! Früher hat man auch das Befallenwerden der eben angeführten Höhenstationen,deren Wintersperre eine absolute wäre", in ähnlicher Weise gegen die Verschleppung durch den Verkehr angeführt, bis eine genauere Nachforschung zu einem gerade entgegengesetzten Schluffe zwang. Nein! ohne eine künstliche Verkehrung der Thatsachen ist es ganz unmöglich, der Con- tagion die Rolle des regulären Ueberträgers bei der Influenza abzusprechen.

III.

Wir haben eben den Gegensatz zwischen contagiöser und miasmatischer Ver­breitung berührt. Unter Contagion versteht man eine Ansteckung durch unmit­telbare Berührung; bei miasmatischer Uebertragung denkt man daran, daß der Krankheitsstoff in der Luft sich befinde, und daß durch ihre Vermittelung dann die Ansteckung erfolge. Diese Unterscheidung ist ganz nützlich. Es gibt in der That gewisse Erkrankungen, wie z. B. den Milzbrand, bei denen das Krankheits­gift, also der Milzbrandbacillus, durch directe Berührung mit einer Wunden Stelle des Körpers in den Organismus eindringt. Bei anderen Krankheiten wiederum, z. B. bei der Tuberkulose, kann der Jnfectionsstoff, der Tuberkel­bacillus, mit der geathmeten Luft durch die Respirationswege (Luftröhre, Lunge) in den Körper gelangen. Dabei wollen wir bemerken, daß vielen Jnfections- stoffen beide Möglichkeiten offen stehen. Die Tuberkulose kann auch dadurch erzeugt werden, daß die Bacillen direct in die Blutbahn oder in die Ver­dauungswege eindringen. So wichtig es indeß ist, zu wissen, daß der eingetrock­nete und zerstäubte Auswurf der Tuberkulösen sich der Luft beimengen und von da aus schädlich auf die Mitmenschen wirken kann, ebenso unerläßlich muß man sich klar machen, daß die Luft Bacillen nur auf ganz kleine Räume hinaus fort­tragen kann (durch ein Zimmer, eine Wohnung, ein Haus). Niemals vermag sie dieselben über so weite Strecken zu bewegen, daß man sich durch Luftinfection das Entstehen einer ganzen Epidemie oder gar Pandemie erklären könnte. So viel man auch die Luft untersucht hat, so hat man doch in keinem einzigen Falle nachzuweisen vermocht, daß sie Krankheitskeime enthielt, die aus irgendwie be­trächtlicher Entfernung stammten. Und damit ist dem Miasma in der Epide­miologie das Urtheil gesprochen. Früher, wo man sich vorstellte, daß das Miasma etwas Gasförmiges wäre, das in großer Verdünnung in der Luft gelöst" sei, konnte man dasselbe für das Zustandekommen von Epidemien ver­werten. Jetzt, wo wir wissen, daß die Ansteckungsstoffe lebende Wesen von relativ großem specifischen Gewicht sind, kann füglich von einem Miasma im alten Sinne und mit der ehemaligen hypothetischen Verbreitungsfähigkeit keine Rede sein. Und wie sonderbar ist es, daß selbst diejenigen Aerzte, welche der Influenza noch miasmatische Verbreitung zuschreiben, gestehen müssen, daß die Windrichtung und die Verhältnisse von Druck und Temperatur der Luft gar