Die Influenza.
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keinen Einfluß auf den Weg der Seuche haben! Ein Aehnliches ist von dem Sumpffieber, dem noch der Name Malaria (böse Luft) den Charakter des Miasmatischen anhängt, schon feit Langem bekannt; bringt doch, nach Professor Tommasi's Ermittelung, der Libeccio, jener Wind, der aus den Stagni von Ostia und Macarese — den Sümpfen des Tibers — einherweht, gerade eine Verminderung der Malaria in Rom hervor. Man führe ferner nicht den Paffat- ftaub oder den Blut-, Schwefel- und vulkanischen Aschenregen an, bei denen kleine mineralische oder auch organisirte Partikelchen über viele Meilen durch die Luft hinweggetragen werden. Zu ihrer Entstehung gehören besondere Bedingungen, locale Orkane u. dgl. und, was das Wichtigste ist: sie bringen keine Epidemien, ja sie begleiten dieselben nicht einmal. Können wir sonach der Luft mit ihren organischen Keimen nicht die Rolle des Erzeugers von Epidemien zu- fchreiben, so müssen wir andererseits doch fragen, wie denn Epidemien entstehen. Warum gibt z. B. nicht jeder einzelne Fall von Cholera, der in einer Stadt vorkommt, Anlaß zu einer Choleraepidemie? Wie kommt es, daß 1885 in Neapel die Cholera furchtbar wüthete, im Jahre darauf aber nur ganz wenige Menschen ergriff? Wenn es nur auf die Berührung der Menschen mit dem Cholerabacillus ankäme, um die Krankheit zu erzeugen, so ist es ja gar nicht einzusehen, warum in dem einen Jahre dazu weniger Gelegenheit sollte vorhanden gewesen sein, als in dem andern. Darauf hat die Seuchenlehre seit Pettenkofer's Ermittelungen geantwortet, daß es zweierlei Arten von Ansteckungsstoffen gäbe: solche, welche sich ausschließlich im menschlichen oder thierischen Körper zur vollen Heftigkeit entwickelten (endogene Jnfectionsstoffe), und solche. Welche ihre Ansteckungsfähigkeit erst erlangten, wenn sie außerhalb des Körpers noch einen Reifungsproceß durchmachten (exogene Stoffe). Die Cholerabacillen seien ungiftig, wenn sie den menschlichen Darm verließen; fänden sie einen in bestimmtem Grade durchfeuchteten porösen Boden vor, in dem die Bedingungen zur Reifung vorhanden wären, dann erst würden sie giftig. Dieser Boden sei nur an bestimmten Orten vorhanden („örtliche Disposition") und die richtige Durchfeuchtung nur zu bestimmten Zeiten, wenn nämlich der Grundwafferstand stark von hoch nach tief geschwankt hat („zeitliche Disposition"). Daher könnte die Cholera nur an disponirten Orten und dort auch nur zu gewissen Zeiten epidemisch werden. Diese Lehre hat auf Grundlage des Studiums über die Lebenseigenschaften der Cholerabacillen überraschende Vertiefung, dabei allerdings auch einige Einschränkung erfahren. Man hat nämlich gesehen, daß die Cholerabacillen sich ganz verschieden verhalten, je nachdem man sie unter Luftzutritt (aerob) oder unter Luftabschluß (anatzrob) sich entwickeln läßt. Im ersteren Falle, der im lufthaltigen, feuchten, porösen Boden verwirklicht ist, werden sie widerstandsfähiger gegen äußere Einflüsse und deshalb zur Uebertragung geeigneter; im zweiten Falle, der analog dem Leben der Bacillen im menschlichen Darm genommen ist, werden sie in hohem Grade giftig, aber sie verlieren ihre Widerstandsfähigkeit — sterben sofort durch Trockenheit, Säure rc. — und werden sonach zur epidemischen Uebertragung ungeeignet. Es ist also zur Entstehung einer Choleraepidemie nöthig, daß die aus dem Körper, wo sie sich unter Sauerstoffsperre befanden, sreigewordencn Bacillen unter Sauerstoffzutritt wider-
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