Heft 
(1892) 70
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Deutsche Rundschau.

standsfähig Werden. Die Begünstigung aeroben Fortkommens ist es also, was die Choleraepidemie macht. Und was hier von dem besonders gut studirten Beispiel der Cholera gesagt ist, hat wahrscheinlich viel allgemeinere Bedeutung. Wir kennen jetzt schon eine ganze Zahl von Bacillen, die nur unter Luftabschluß leben, wie der Erreger des Wundstarrkrampfes, und wir kennen andere, welche zwar auch bei Luftzutritt zu leben vermögen, aber nur in der Luftsperre ihre giftigen Eigenschaften entwickeln, wie z. B. die Erreger der Eiterung, den Trauben- und den Kettencoccus. So lange eine Eiterhöhle geschlossen ist, leidet der Körper unter der Aufnahme des siebererregenden Eitergiftes, welches von den Coccen bereitet wird. Sobald das Messer des Chirurgen den Absceß öffnet, die Sauerstoffsperre aufhebt, wird das Fiebergist zerstört und die jetzt aerob lebenden Eitererreger verlieren ihre furchtbaren Eigenschaften. Das ist der biolo­gische Sinn der alten Regel: ubi xus, ibi iueiäe!

IV.

Der Leser verzeihe mir die letztere Erörterung, die eine scheinbare Abschweifung von unserem Jnsluenzathema bildet. Aber die Epidemiologie befindet sich gegen­wärtig in einem Stadium des Ueberganges, wo die alten Stützen Wanken, und die neuen noch nicht fest gegründet sind. Die alten Lehren müssen sich mit den Thatsachen der Bakteriologie auseinandersetzen, und man will ihnen nur so viel Wahrheit zugestehen, als Bakteriologie in ihnen entfaltet ist. Man fragt jetzt bei jeder Seuche zuerst nicht, ob sie contagiös oder miasmatisch sei, sondern man sucht nach dem Bacterium der Seuche und seinen Lebenseigenschasten.

Von dem Bacillus der Influenza wußte man bis vor Kurzem soviel als von Herrn Schwerdtlein's Tod. Jetzt ist er durch den Vorsteher des Instituts für Jnfectionskrankheiten in Berlin, Herrn R. Pfeiffer, entdeckt, durch Herrn Kitasato in mehreren Generationen weitergezüchtet und von Herrn Canon (un­abhängig von Pfeiffer's Entdeckung) im Blute Jnfluenzakranker gesehen worden. Er ist sehr klein, der Zwerg unter den Bacillen, nur halb so groß als der Ba­cillus der Mäusesepticämie, welcher bisher als der winzigste galt. Er kann mit verdünnter Carbolfuchsinlösung roth, mit heißer Methhlenblaulösung blau gefärbt und dann mikroskopisch besser sichtbar gemacht werden. Seine beiden Endpole färben sich stärker als das Mittelstück, so daß man ihn leicht für einen Doppel- coccus der aus zwei kleinsten zusammenhängenden Kugeln bestände halten könnte. Man kann ihn auf einem Nährboden von IV2"/» Zuckeragar cultiviren, wo seine Colonien zunächst nur mit der Lupe erkennbare, kleinste Tröpfchen bilden, welche abweichend von allen anderen Bacillencolonien niemals zusammenfließen, sondern stets getrennt bleiben sollen. Der Bacillus der Influenza ist ferner ohne Eigenbewegung. Man kann ihn auch auf Affen und Kaninchen übertragen und dadurch bei diesen Thieren künstlich die Influenza Hervorrufen. Beim Menschen findet er sich hauptsächlich im Auswurfe der Kranken; er ist aber auch bei Jnfluenzaleichen in der Lunge, in den Bronchien und auf dem erkrankten Brustfell gefunden worden, ebenso wie man ihn im Eiter bei Brustfellentzündung nach Influenza und wie oben erwähnt auch im Blute fiebernder Jnfluenza­kranker gesehen hat.