Die Influenza.
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Die Sicherheit, daß der entdeckte Bacillus auch der wahre Erreger der
Influenza ist, ergibt sich daraus, daß er jetzt in allen darauf untersuchten
Fällen der Krankheit und nur in diesen gefunden wurde, daß er also niemals
gesehen ist, wo keine Influenza bestand, und daß man ferner mit Reinculturen
desselben, die durch verschiedene Generationen weitergezüchtet waren, künstlich die Erkrankung bei Thieren (Affen, Kaninchen) hat Hervorrufen können. Durch das Zusammentreffen dieser drei Momente ist für die Richtigkeit des Schlusses jener Grad von Wahrscheinlichkeit erzielt, den wir menschlich als Gewißheit bezeichnen.
Ueber die genaueren Lebensbedingungen dieses Bacillus ist allerdings im Augenblick noch wenig bekannt. Wir wissen, daß er aerob leben kann; wir sind aber noch nicht darüber unterrichtet, ob er auch ohne freien Luftzutritt zu existiren vermag, unter welchen Bedingungen er ferner den Gipfel seiner Widerstandsfähigkeit erlangt und wann er jenes Gift zu produciren vermag, das beim Zustandekommen des Jnfluenzaanfalles eine so entscheidende Rolle spielt.
V.
Es ist an der Zeit, daß wir von dem klinischen Verlauf der Influenza Genaueres erfahren. Denn wenn auch fast ein Jeder die Macht dieser Erkrankung an sich selber erprobt hat, so ist doch deren Erscheinungsform eine so vielgestaltige, daß sie auf den ersten Anblick selbst den Kenner verwirrt. Man hat daher schon in frühen Zeiten die Beschreibung der „Complicationen" von denen des eigentlichen Anfalles getrennt und hat drei Arten des letzteren beschrieben, die nervöse, gastrische und respiratorische Influenza, je nachdem die Erkrankung des Nervensystems, des Verdauungsapparates oder der Athmungswege besonders hervorstechend war. Es ist unnöthig, zu betonen, daß diese Eintheilung nur einen rein praktischen Werth hat, daß es sich in allen Fällen um eine einheitliche Erkrankung handelt, bei welcher der ganze Körper in Mitleidenschaft gezogen wird; nur daß hier und da das eine oder das andere Organsystem das stärker befallene ist.
Jedermann weiß, daß es Jnfectionskrankheiten gibt, welche mit Vorboten auftreten, wie die Masern, bei denen die Kinder vorher durch Lichtscheu, heftiges Niesen, leichte Schlingbeschwerden, allgemeines Unbehagen geplagt werden, ehe das hohe Fieber und mit ihm der Masernausschlag erscheint. Andere Krankheiten kommen plötzlich und unangemeldet, wie der Dieb in der Nacht. Der viel- gesürchtete Scharlach und die immerhin harmlosere Influenza können als Beispiele hierfür gelten. Des Morgens ist ein Knabe wohlgemuth in die Schule gezogen. Zur Frühstückszeit hat ihn der Lehrer bereits heimgesandt, weil er den Eindruck eines Schwerkranken macht. Volle Gesundheit und ausgesprochenstes Leiden sind bei der Influenza durch eine scharfe Grenze jäh geschieden. Und das gilt nicht für Kinder allein. Kein Alter und keine Constitution schützt vor jenem gänzlichen Zusammenbruch der Kräfte, welcher für den Beginn der Influenza so charakteristisch ist. Die robustesten Leute aus dem Arbeiterstande mußten sich von Mehreren unterstützen lassen, um nur die Treppen des Hospitals ersteigen zu können. Der leidende Eindruck wird noch gesteigert durch den nie fehlenden Kopfschmerz, der manchmal eine erstaunliche Heftigkeit erreicht, doch glücklicherweise nicht von langer Dauer sich erweist. Das Gemüth der Kranken ist dabei