Die Influenza.
423
Gewiß ist es wichtig, die Erscheinungen einer Krankheit genau zu kennen. Aber unser Verstand verlangt noch mehr. Er will in das Wesen des Krank- heitsprocesses so vollkommen eindringen, daß er aus ihm die äußeren Symptome mit Nothwendigkeit solgern kann. Nur sind Wir nicht immer in der Lage, dieser Forderung streng zu genügen. Dann müssen wir uns bescheiden, zum mindesten eine gewisse Ordnung in die Auffassung des Krankheitsverlaufes zu bringen und denselben so der Begreiflichkeit näher zu rücken. Das wenigstens können wir bei der Influenza.
VI.
Nach Allem, was wir bis heute wissen, müssen wir annehmen, daß der Jnfluenzabacillus in der Regel durch die Athmung in den menschlichen Körper gelangt. Der normale Weg, den der Luftstrom nimmt, ehe er in die Lungen gelangt, führt durch die Nase und den Rachen in den Kehlkopf und die Luftröhre. In der Nase soll die Luft vorgewärmt, ein wenig angefeuchtet und von ungehörigen Beimengungen befreit werden. Zu diesem Zwecke muß sie durch das System der buchtenreichen Nasenmuscheln durchstreichen, in denen sie auch zuerst Krankheitskeime ablagern wird. So kommt es, daß die Nase schon in gewöhnlichen Zeiten recht häufig erkrankt. Bei der Jufluenza aber ist sie dasjenige Organ, das mit fast ausnahmsloser Regelmäßigkeit befallen wird. Cursch- mann gibt die Nase in 78 o/» der Fälle als betheiligt an; nach unseren Beobachtungen aber muß diese Zahl noch beträchtlich erhöht werden. Die Nase aber steht direct mit den Lymph- und Bluträumen des Gehirns in Verbindung, und ihre Innervation, die, abgesehen von der Riechsphäre, vom fünften Hirnnerv (VriMminus) vermittelt wird, strahlt auf dem Wege des Reflexes in andere wichtige Nervenbahnen aus. So kommt es, daß Störungen der Nase in zweifellosem klinischen Zusammenhang mit anderen Jnnervationsstörungen stehen. Besonders manche Kopfschmerz- und Asthmaformen sind schon früher von Hack auf Nasenerkrankungen zurückgesührt. Aber gewiss e Arten von Schwindel, Appetitlosigkeit, Uebelkeit und Erbrechen, von Herzklopfen, Herzschmerz und Beklemmung, von Schulterblatt-, Brustbein-, Zwischenrippen-, Kreuz- und sogenannten Nierenschmerzen, ja von Schmerzen in den Beinnerven und im Magen und Darm, gehören ebenso wie das krampfhafte Niesen und Husten, wie wüste ängstliche Träume und die Unfähigkeit aufmerksamen Denkens so typisch zu den „Reflexneurosen von der Nase aus", daß jeder Kenner dieser Dinge sofort die Nase untersucht, wenn ihm von einem Kranken über einige jener Beschwerden geklagt wird. Nun haben meine Leser sofort bemerkt, daß ich unter den Symptomen der nasalen Neurosen den größten Theil der Jnfluenzabeschwerden aufgezählt habe, und sie machen mit mir den zutreffenden Schluß, daß diese Beschwerden von der N a s e n erkrankung abhängig seien. In der That kann man jedes von diesen Symptomen für kurze Zeit aus den Jnfluenzaerscheinungen ausschalten, wenn man die erkrankten Stellen der Nase durch Cocainbepinselung unempfindlich macht. Man kann ferner, wenn das eine oder andere von diesen Symptomen auch nach der Reconvalescenz bestehen bleibt, durch entsprechende Behandlung der Nase es mit Sicherheit beseitigen. Der Verfasser hat hiervon eine so er-