Heft 
(1892) 70
Seite
429
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Hamlet in Hamburg, 1625.

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Shakespeare'schen Textes den deutschen Komödianten zuzuschieben, zumal der Text des Kaufmanns von Venedig und von Romeo und Julie Anlaß zu ähn­lichen Beobachtungen gab.

Aber wie sehr hier Vorsicht geboten ist, das lehrt ein Fund, auf den ich jüngst bei Arbeiten zur Geschichte des deutschen Theaters im siebzehnten Jahr­hundert durch einen glücklichen Zufall stieß, und der die Geschichte des deutschen Shakespeare-Textes im siebzehnten Jahrhundert, speciell dieser Hamlet-Redaction in einer neuen Beleuchtung erscheinen läßt.

Es ist mir nämlich gelungen, einen Bericht über eine deutsche Hamlet- Aufführung durch englische Komödianten ans Licht zu ziehen, aus dem deutlich hervorgeht, daß gerade die Schauspielerscene schon unter den Händen der Eng­länder gewisse charakteristische Verschlechterungen erfahren hat; ja, der, wenn der Erzähler aus treuem Gedächtniß berichtet, beweisen würde, daß die Engländer sich mit dem Shakespeare'schen Texte ungleich größere Freiheiten erlaubt haben, als je die verrufensten deutschen Wandercomödianten. Wir werden allerdings gleich sehen, daß die Frage, ob der Bericht in allen Einzelheiten genau den Thatsachen entspricht, nicht unbedingt bejaht werden kann..

Eine der ergibigsten Quellen für unsere Kenntniß vom deutschen Bühnen­wesen in dem Zeitraum, wo nach dem Muster der noch in Deutschland spie­lenden Engländer sich die ersten Anfänge einer nationalen Schauspielkunst zu entwickeln begannen, bilden die Schriften eines holsteinischen Landpredigers, des Pfarrers Johann Rist zu Wedel, unweit Hamburg. Rist genießt in der Lite­raturgeschichte im Allgemeinen keines guten Rufes; er gilt mit Recht als ein maßlos eitler, von seinen Vorzügen in einem fast pathologisch zu nennenden Grade eingenommener Mann, der besonders durch den, zu seines Namens Ehre selbstgestiftetenElbschwanenorden" ein Reclame- und Coteriewesen großzog, das uns durchaus modern anmuthet. Nicht minder verrufen ist er wegen seiner uferlosen Geschwätzigkeit, wegen des unsäglichen Wohlbehagens, womit er, namentlich in den Schriften seines Alters, über seine persönlichen Erlebnisse und Ansichten sich zu verbreiten beliebt. Ich aber liebe den Mann gerade wegen dieser Eigenschaften zärtlich; denn ihnen danken wir eine Reihe von werthvollen Detailzügen über die älteste deutsche Theatergeschichte, die allerdings bisher von der Forschung keineswegs genügend beachtet worden sind.

Dieser holsteinische Landpastor war nämlich seit seinen Jugendjahren ein leidenschaftlicher Theaterliebhaber. Geboren 1607, hatte er schon als Schüler des Johanneums zu Hamburg sich an den Vorstellungen englischer Komödianten begeistert, dann als Student selbst sich als Dramatiker und als Schauspieler versucht und aus mancherlei Reisen, wie es scheint, auch die holländische Bühne gründlich kennen gelernt. Diese Liebe fürs Theater hatte er sich aus den stürmi­schen Jugendjahren ins Predigtamt hinüber gerettet, und so bildete er denn unter den zeitgenössischen Dichtern eine rühmliche Ausnahme insofern, als er der einzige namhafte Schriftsteller des siebzehnten Jahrhunderts ist, der es nicht verschmäht, mit der Bühne Fühlung zu behalten, der die Wandercomödianten, die durch seinen Ruf gelockt an die Thür des Pfarrhauses klopfen und sich seine