Heft 
(1892) 70
Seite
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Deutsche Rundschau.

Tagen ist kein Himmel sichtbar, so daß wir gezwungen sind, an Bord zu bleiben. In dieser Trostlosigkeit lege ich die Hand auf AmiensJournal intime". O Wonne ob des wunderbaren Buchs! Der Eindruck, den ich davon empfing, ist nur mit dem vergleichbar, den mir jene AufführungRichardis II." hinterließ, die uns Beide einst in München begeistert hat. Man glaubte sich der Unrealität des Alltagslebens, jenem ewigen Einerlei von Sorge für Speise und Trank, Geld und Gut entrückt, und dem immateriellen Leben, wo nur die Seelen zusammen Verkehren, näher gebracht. Das Buch hätte Wohl nicht derartig auf mich gewirkt, wäre es nicht nach Wochen von tödtlicher Langeweile in meine Hände gerathen. Amiel nennt einmal die modernen Leutecivilisirte Papageien". Du kannst die Wahrheit des Wortes erst dann empfinden, wenn Du einmal eine lange Seefahrt gemacht haben wirst. Fern von Büchern,

Zeitungen, Tagesneuigkeiten fühlt man sich wie von einer bleiernen Atmosphäre gedanken­loser Einfältigkeit umfangen. Noch nie bin ich mir der eigenen Unzulänglichkeit pein­licher bewußt geworden. Und dabei war ich unfähig, mit stundenlangem Geschwätz über gar nichts, mit Gesellschaftsspielen,Whistturnieren" oder gar Wettrennen an Bord mich zu trösten. Einige deutsche Mitreisende bildeten eine lobenswerthe Aus­nahme von der übrigen Gesellschaft, allein sie hielten sich gesondert.

II. Johannisburg, Juni 1890.

Seit einer Woche bin ich hier. Die Fahrt war köstlich. Wie hätten wir sie

genossen, wären wir zusammen gewesen. Der sogenannte Wagen war ganz einfach ein Karren mit leinenüberspanntem Dach, von acht Pferden gezogen, die beständig gewechselt wurden und über alle Hindernisse hinwegeilten. Wir verließen die Bahn auf der Station Ladysmith, bestiegen unser Gefährte am Montag Morgens sieben Uhr und erreichten Johannisburg Mittwoch Nachmittag um fünf Uhr. Wir hatten zwei­hundert Pferde benützt. Die Nacht wird in Häusern von Boeren oder in nicht minder eigenthümlichen Hotels verbracht, in welchen ganz merkwürdige Speisen gereicht werden. Die Luft hier ist herrlich, das Klima gesund, die sanitären Einrichtungen zu fürchterlich, um überhaupt besprochen zu werden. Das ganze Interesse concentrirt sich auf den Gewinn des Goldes, auf die Minen, in welchen man, bei Besuch derselben, ein kleines Glasröhrchen mit Goldstaub gefüllt zum Andenken erhält. Sonst ist Alles kaum theurer als in England, mit Ausnahme der Lebensmittel, die fabelhafte Preise kosten und unbeschreiblich schlecht sind. Man zahlt ein Ei mit 70, ein Stück Brot mit 50 Pf. u. s. w. Die meisten Gesellschaften sind bankerott, derBig Boom" ist für immer verschwunden, und Scharen von Menschen verlassen die Stadt. Einige glauben, sie werde nach und nach zu bestehen aufhören. Andere sind der Meinung, sie werde sich mit einer gewerbfleißigen, seßhaften Bevölkerung füllen. Es ist merk­würdig, von einem Hügel aus diese Stadt von 70 000 Einwohnern zu überblicken, die in 3*/2 Jahren entstand, in einer Gegend, in welcher auf Meilen kein Baum zu sehen ist. Die Luft ist so rein und den Menschen so zuträglich, daß die Epidemien erloschen und fast keine Krankheiten herrschend sind.

III. Johannisburg, 8. Juli 1890.

.Nun zu den Boeren, von denen ich viel erwartete, und die mir eine

große Enttäuschung bereitet haben. Sie sind gute Schützen, und das ist wirklich Alles. Für Handel und Gewerbe fehlt ihnen der Sinn. Ihre Häuser sind schmutzig und in jeder Beziehung vernachlässigt; ihre verödeten Felder gleichen einer Wüste. Nur in der Nähe der Wohnstätten sind kleine Streifen Landes mit türkischem Weizen bebaut. Zuweilen sieht man einige Obstbäume, meist Pfirsichbäume. Das klebrige ist Grasland und Weide für die Herden. Diese werden von Kafirs besorgt, die bei jedem Kraal eine Anzahl von Kühen für sich behalten und dafür den Boeren ein bestimmtes Quantum Milch abtreten. Der Boer, oder wie er hier genannt wird, der Baas, bereitet zuweilen seine Felder, fährt auch Wohl etwas herum, bringt aber die meiste Zeit liegend und rauchend zu, wobei er entsetzlichen Kaffee trinkt, denn hier