Heft 
(1892) 70
Seite
457
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Wirthschafts- und finanzpolitische Rundschau.

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Die in den Kreis dessen, was wir Weltgeschichte nennen, jeweilig eingetretenen Völker haben nie eine gesegnetere Periode durchlebt als die ersten Jahrhunderte, in denen Rom den orbw terrarum zu einer einheitlich gestalteten Völkergesellschaft, einem Wirtschaftsgebiete geeint hatte. Das heutige Ziel ist ein anderes. Ausgewachsen sind und auswachsen neue Weltwirthfchaftsgebiete, fernab vom alten c>rbi8 terrarum, der auseinandergefallen ist. Es gilt, au seiner Stelle ein neues Gefüge zusammenzu- fchweißen jenen gegenüber. Kein Platz der uns bekannten Erde, der heute nicht mitspielte in der Weltgeschichte. Ihre Bühne hat sich verallgemeinert. Wir lernten und lernen Geschichte an dem Kampf der Stadt- und Dorfrepubliken des kleinen Griechenlands, dann dem der italischen Stämme. Später unterwirft sich Rom den weiten Umkreis des Mittelländischen Meeres und wird der Staat an sich, und kein Staat außer ihm. Das römische Reich deutscher Nation bedeutet den mißglückten Versuch der Zusammen­fassung der in die Weltgeschichte neu Eintretenden mit den alten Völkern des Abend­landes. Immer werden die Proportionen größer. In dem heutigen Epos der Welt­geschichte sind die Helden Welttheile.

Wirthschastlich gesprochen istWelt" der Kreis, aus dem wir nach dem jeweiligen Stand der Verkehrsverhältnisse die Mittel zur Befriedigung unserer Bedürfnisse her­holen. Die Handelspolitik der Zeit bekommt ihren Gehalt aus dem jeweiligen Um­fange dieser wirthschaftlichen Welt. In unserem vorzugsweise sogenannten Mittelalter war die wirthschaftliche Welt die Stadt, wirtschaftliche Abfchließung der Stadt Handelspolitik. Der mit dem Absolutismus verquickte Merkantilismus der neueren Zeit suchte das territoriale Fürsteuthum als seine Wirthschaftswelt nach außen abzu­schließen. Bis zur französischen Revolution waren die einzelnen Provinzen Frankreichs sich wirtschaftlich fremder, als heute die Antipoden unserer Hemisphären es sind; sie, die französische Revolution, machte Frankreich zu einem Wirtschaftsgebiet, der Zollverein Deutschland, die politische Befreiung Italien. Unterdessen war dem Frei­handel die Landesgrenze zu eng geworden für seine Wirthschaftswelt. Der Sprung aus enger Gebundenheit in schrankenlose Freiheit war zu groß. Mit ihm hatte der Verkehr selbst nicht gleichen Schritt gehalten; dessen Technik aber entwickelt sich ge­waltig. Heute ist der binnenländische und zumal der überseeische Verkehr zu einer Höhe gediehen, auf der für einzelne Products, wie z. B. Getreide, die volle Welt- wirthschast sich entfalten mußte. In solchen Zeiten war der Versuch in sich schon widerlegt, den einzelnennationalen Staat" von den Ländern, mit denen er immer mehr durch Telegraph, Dampfschiffe und Eisenbahnen verbunden war, abfchließen zu wollen. Das war verkehrt in einer Zeit, in der ein Quantum Getreide von Indien nach Hamburg zu schaffen weniger kostet, als ehemals auf den alten Straßen von Ostpreußen nach Berlin. Die Handelspolitik der Gegenwart muß diesen Verände­rungen Rechnung tragen, und die sehr bescheidenen Anläufe, welche einzelne europäische Staaten hierzu im Augenblick machen, kommen wahrlich spät genug. Anderswo ist man dem alten Europa in diesen Beziehungen längst voraus. England sucht sich mit seinen Kolonien zu einem fast ein Fünftel der Erdoberfläche umfassenden, einheitlich gestalteten Wirtschaftsgebiet, in dem einhundertzwanzig Millionen Menschen leben, umzugestalten; der Panamerikanismus, der das ganze Amerika zusammenfassen will, würde andere zwanzig Prozent der Erdoberfläche mit annähernd gleicher Menschenzahl in sich Vereinen; Rußland mit abermals sechzehn Prozent der Erdoberfläche und über hundert Millionen Seelen bildet ein in sich abgeschlossenes Zollgebiet. Von jedem dieser Welthandelsgebiete gilt unter heutigen Culturverhältnissen, was Aristoteles von den Gebilden verlangte, die er als Staaten seiner Zeit anerkannte: jedes genügt sich selbst. Jedes von ihnen ragt in alle Klimate hinein, kann alle Rohproduction auf eigenem Territorium betreiben und, falls die Bevölkerung groß und kaufkräftig genug ist, auch deren industrielle Verarbeitung und Verwerthung bei sich selbst ermöglichen. Solche Gebiete können den Fichteffchen geschlossenen Handelsstaat verwirklichen und brauchen selbst dessen Ausnahmen nicht zu berücksichtigen; dort sind Umstände mög­lich, daß Producenten und Consumenten innerhalb der Grenzen des einen Landes sich