460
Deutsche Rundschau.
Der außenstehende Beobachter wird über die Bedeutung dieser Vorgänge ruhiger urtheilen. Unter den vier nachgesolgten Firmen ist höchstens eine, bei welcher von einem schreckenerregenden Vertrauensbruch die Rede sein könnte; die drei anderen gehörten zu der Sorte von Bankiers, bei denen die Schuld am Vertrauensbruch mehr der trägt, der das Vertrauen gewährt, als der, der es gebrochen hat. Was aber das Bedeutsamste ist: von den vier nachgesolgten Concursen ist auch nicht einer, der im Zusammenhang mit dem Bankbruch Hirschseld und Wolfs steht (dem einzigen, der es verdient, mit Namen gebrandmarkt zu werden). Die große Erregung, die sich Berlins bemächtigte, als die erste Nachricht von diesem Fallissement erzählt und kaum geglaubt wurde, die maßlosen Beängstigungen, die sich in den Gerüchten vom Zusammenbruche hochangesehener Häuser Lust machten, sie sind alle verlausen, ohne daß auch nur eine der befürchteten Folgen eingetreten wäre. Daß der Bankbruch eines Millionenhauses keinen einzigen andern nach sich zieht, ist ein Fall, der in der Geschichte der Handelskrisen nicht häufig zu verzeichnen ist. Die Berliner Bankwelt hat damit eine wahre Feuerprobe bestanden.
Begreiflich freilich ist es, daß die direct oder indirect Betheiligten sich erst von dem Schrecken erholen müssen, bis sie solchen Erwägungen zugänglich sind. Zunächst schwirrt es in Deutschland von Bank- und Börsenreformern. Die meisten beweisen ihre Unfähigkeit schon durch die Art, wie sie beides mit einander verquicken. Will man, von den Erfahrungen der letzten Jahre ausgehend, zu Reformen gelangen, so sollten sie in erster Linie die Beziehungen der Privatcapitalisten zum Börsen- und Bankverkehr im Sinne von Billigkeit und Rechtlichkeit ordnen. Hier erfordert das Verhältniß zur Börse eine möglichste Fernhaltung der sogenannten Privatleute. Der volkswirthschastlich bedauerliche Schaden unserer Börsenkriseu liegt nicht sowohl in einer Schädigung der Börsenkreise, als in dem Mitreißen anderer Kreise. Eine wilde Sucht nach Reichthum hat bei uns alle Schichten ersaßt. An der Börse speculiren nicht nur die Börsenkaufleute, sondern auch Waarenkausleute aller Art; der Hutfabrikant speculirt in Bergwerksaktien, der Rechtsanwalt verkauft Sprit Per October-November, der Gutsbesitzer betheiligt sich am Eisenbahnbau in Persien, Gelehrte aller vier Facultäten schleichen sich in Abendgesellschaften auf einen Augenblick abseits, um voller Erregung den Kurszettel nachzulesen. Soll die Börse eine „Ordnung" bekommen, so kann Zweck derselben nur sein, diese Kreise (soweit thunlich) fernzuhalten. Nicht daß diese Leute Geld an der Börse verloren haben, ist schlimm, sondern daß sie es an der Börse gewinnen wollten. — Ganz anders das Verhältniß zum Bankier. Die englische Sitte, daß jeder, der ein auch noch so kleines Capital zu verwalten hat, sich einem wirklichen Bankier, nicht einen solchen, der sich nur so nennt, als Vertrauensmann in seiner ganzen Geschäftsgebahrung übergibt, einem Bankier, der sich selbst von der Börse absolut fern hält, ist bei uns noch viel zu wenig entwickelt, ebenso wie die Trennung von „Bank" und „Börse" selbst. Gerade im Interesse einer soliden Verwaltung des Privatcapitals liegt es, Alles zu thun, um dem Privatcapitalisten die Möglichkeit eines Anschlusses an solide Bankiers zu gewähren. Wieviel der Staat hier thun kann, mag fraglich sein. Vielleicht kann er nichts weiter thun, als eine größere Zugänglichkeit der Reichsbank und der Seehandlung (abgesehen von einer noch größeren Verbreitung ihrer Filialen), durch eine brauchbarere Regelung des Depotwesens (welche in ihrer gegenwärtigen Gestaltung bei der Reichsbank außerhalb Berlins geradezu unbrauchbar, in Berlin viel zu schwerfällig ist), dem Privatpublicum darzubieten, um so in directer Concurrenz mit ihm gleichzeitig vorbildlich für den Privatbankier zu wirken. Vielleicht läßt sich auch durch gesetzliche Regelung für den Privatcapitalisten ein besserer Schutz gegen Veruntreuungen erzielen. Jedenfalls aber wird die Gesetzgebung, wenn sie Angreifer: soll, daraus ausgehen müssen, das Vertrauensverhältniß zwischen Privatkunde und Bankier zu befördern, wie sie umgekehrt bei der Börsenordnung darauf wird ausgehen müssen, ein derartiges Vertrauensverhältniß überhaupt nicht erst aufkommen zu lassen.