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Theodor Fontane in Berlin.
sich jetzt auf, und Grete sah nun, daß es eine sehr alte Dame war, aber mit scharfen Augen, aus denen noch Geist und Leben blitzte. Zugleich erhob sich auch der Hund und legte seinen Kopf zutraulich an Gretens Hand, was ein gutes Vorurtheil für diefe weckte. Denn „er kennt die Menschen", sagte die Domina.
Diese hatte mittlerweile Greten an ihren Stuhl herangewinkt.
„Wie heißt Du, Kind? Und was führt Dich her? Aber stelle Dich hier ins Licht, denn mein Ohr ist mir nicht mehr zu Willen, und ich muß Dir's von den Lippen lesen."
Und nun erzählte Grete, daß sie zu den fahrenden Leuten gehöre, die gestern in die Stadt gekommen feien, und daß einer von ihnen, der ihr nahe gestanden, in dieser Nacht gestorben sei. Und nun wüßten sie nicht, wohin ihn begraben. Einen Sarg hätten sie machen lassen, aber sie hätten kein Grab für ihn, kein Fleckchen Erde. Wohl fei sie bei dem alten Prediger gewesen und Hab' ihn gebeten, aber der habe sie hart angelassen und ihr den Kirchhof versagt. Den Kirchhof und ein christlich Begräbniß.
„Bist Du christlich?"
„Ja."
„Aber Du siehst so fremd."
„Das macht, weil meine Mutter eine Span'sche war."
„Eine Span'sche? . . Und im alten Glauben?"
„Ja, Domina."
Die beiden Damen sahen einander an, und die Domina sagte: „Sieh',
Ilse, das hat ihr der Roggenstroh von der Stirn' gelesen. Er sieht doch schärfer, als wir denken. Aber es hilft ihm nichts, und wir wollen ihm einen Strich durch die Rechnung machen. Er hat seinen Kirchhof und wir haben den unsren. Und auf unsrem, denk' ich, schläft sich's besser."
„Ja, Domina."
„Sieh', Kind, das sag' ich auch. Und ich warte nun schon manches Jahr und manchen Tag darauf. Aber der Tag will nicht kommen. Denn Du mußt wissen, ich werde fünf und neunzig, und war schon geboren und getauft, als der Wittenberg'sche Doctor gen Worms ging und vor Kaiser Carolus Quintus stand. Ja, Kind, ich habe viele Zeiten gesehen, und sie waren nicht schlechter als unsre Zeiten sind. Und morgen um die neunte Stunde, da komm nur herauf mit Deinem Tobten, und da soll er sein Grab haben. Ein Grab bei uns. Und nicht an schlechter Stell' und unter Unkraut; nein, wir wollen ihn unter einem Birnbaum begraben, oder, so Du's lieber hast, unter einem Fliederbusch. Hörst Du. Verlaß Dich auf mich und auf diese hier. Denn die hier und ich, wir verstehen einander, nicht wahr, Ilse? Und wir wollen die Klosterglocke läuten lassen, daß es der Roggenstroh bis in seine Stube hört und nächsten Sonntag wieder gegen uns predigt, gegen uns und gegen den Antichrist. Das thut er am liebsten, und wir hören es am liebsten. Und nun geh', Kind. Ich hasse den Hochmuth und weiß nur das Eine, daß unser All-Erbarmer für unsre Sünden gestorben ist und nicht für unsre Gerechtigkeit."