Grete Minde.
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Und danach ging Grete und der Hund begleitete sie bis an die Thür. Als die beiden Frauen wieder allein waren, sagte die Domina: „Unglücklich' Kind. Sie hat das Zeichen."
„Nicht doch; sie hat schwarze Augen. Und die Hab' ich auch."
"Ja, Ilse. Aber Deine lachen und ihre brennen."
„Du siehst zuviel, Domina."
„Und Du zu wenig. Alte Augen sehen am besten im Dunkeln. Und das Dunkelste ist die Zukunft."
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Und so kam der andre Morgen.
Die neunte Stunde war noch nicht heran, als ganz Arendsee die Klosterglocke läuten hörte. Und auch Roggenstroh hörte sie; das verdroß ihn. Aber, ob es ihn verdroß oder nicht, von der tiefen Einfahrt des Gasthoses her setzte sich ein seltsamer Zug in Bewegung, ein Begräbniß, wie die Stadt noch keines gesehen; denn die vier Puppenspieler trugen den Sarg, der aus eine Leiter gestellt worden war, und hinter ihnen her ging Grete, nur auf Zenobia gestützt, die sich heute von allem Roth entkleidet und statt dessen an ihren Spitzhut wieder ihren langen schwarzen Schleier mit den Goldsternchen befestigt hatte. Und dann kamen Kinder aus der Stadt, die vordersten ernst und traurig, die letzten spielend und lachend, und so ging es die Straße hinunter, in weitem Bogen um den Kirchhof herum, bis an die See-Seite, wo, von alter Zeit her, der Eingang war.
In Nähe dieses Einganges, unter einem hohen Fliederbusch, der mit seinen Zweigen bis in den Kreuzgang hineinwuchs, hatte der Klostergärtner das Grab gegraben. Und um das Grab her standen die Nonnen von Arendsee: Barbara v. Rundstedt, Adelheid v. Rademin, Mette v. Bülow,
und viele andere noch, alle mit Spitzhauben und langen Chormänteln, und in ihrer Mitte die Domina, klein und gebückt, und neben ihr Ilse v. Schulenburg, groß und stattlich. Und als nun der Zug heran war, öffnete sich der Kreis und mit Hülfe von Seilen und Bändern, die zur Hand waren, wurde der Sarg hinabgelassen. Und nun schwieg die Glocke und die Domina sagte: „Sprich den Spruch, Ilse." Und Ilse trat bis dicht an das Grab und
betete: „Unsre Schuld ist groß, unser Recht ist klein, Die Gnade Gottes thut cs allein." Und alle Nonnen wiederholten leise vor sich hin: „Und die
Gnade Gottes thut es allein." Danach warfen die Zunächststehenden eine Hand voll Erde dem Todten nach und als ihr Kreis sich gelichtet, drängten sich die Kinder von außen her bis an den Rand des Grabes und streuten Blumen über den untenstehenden Sarg: Astern aller Farben und Arten, die sie während der kurzen Ceremonie von den verwilderten Beeten gepflückt hatten.
Bald danach war nur noch Grete da, und sah auf den Fliederbusch, der bestimmt schien, das Grab zu schützen. Ein Vogel flog auf und über sie hin, und setzte sich dann auf eine Hanfstaude und wiegte sich. „Ein Häns-
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