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L. Abel in Berlin.
eingetreten sein, der Verständlichkeit halber eines der beiden Worte fallen zu lassen, und sich mit den vielen anderen Ausdrücken für „stark" und „schwach" zu begnügen. Ist das in diesem Fall, ist es in so vielen ähnlichen Fällen nicht geschehen, so sehen wir uns gezwungen, eine bewußte Verbindung zwischen den gegenfüßlerischen Worten vorauszusetzen. Der Frage nach dem Grunde läßt sich mithin nicht entgehen. Zu ihrer Beantwortung leitet wiederum die Aegyptische Schrift. Indem sie üsn „stark" von üon „schwach" dadurch unterscheidet, daß sie dem buchstabenmäßig geschriebenen Lautwerthe beider Worte je nachdem ein determinirendes Bildchen der Stärke oder Schwäche hinzufügt, indicirt sie den logischen Grund der Erscheinung. Unsere Urtheile bilden sich nur durch Vergleich und Antithese. Sowenig wir, wenn wir den Begriff der Stärke einmal gefaßt haben, an die Schwäche zu denken brauchen, um uns die Stärke klar zu machen, so gewiß hat die Stärke ursprünglich nicht concipirt werden können, ohne sie von der Schwäche loszuheben, ohne sie an der Schwäche gegensätzlich zu messen. Man versuche es, über die Gedanken hinaus, welche uns durch bekannte Wortbedeutungen angewöhnt worden sind, ohne daß wir sie selbst zu finden brauchten, eine einzige neue Idee zu fassen, und man wird sich von der Natur des geistigen Vorgangs überzeugen. Jedermann wird heutigentags mit der Stärke bekannt, ohne sein eigenes Urtheil anzustrengen, weil der Begriff einmal in der Sprache existirt, weil er ihm von Kindheit auf zur Bezeichnung gewisser Leistungen, Dinge und Personen angeübt worden ist. Sobald wir aber, das Gebiet der Alltäglichkeit und die derselben entsprechenden Worte verlassend, eigene Gedanken zu bilden, oder seltenere, weniger gehörte Gedanken Anderer nachzudenken versuchen, befinden wir uns vor der Nöthigung zur bewußten Antithese. Um bei Wortgedanken zu bleiben, so hat kein Schüler den stumpfen, spitzen und rechten Winkel begriffen, ohne die drei in bewußten Gegensatz zu bringen; kein Student das Hegel'sche Sein aufgefaßt, ohne es mit dem Nichtsein zu confrontiren; überhaupt Niemand eine fremde Sprache einigermaßen eingehend gelernt, ohne diejenigen Wortbedeutungen, die von den heimischen abweichen, durch Vergleich mit den letzteren sich zu erläutern. In jene Kindheitsperiode der Menschheit nun, in welcher die ersten, gewöhnlichsten Begriffe in dieser überlegenden Weise errungen zu werden hatten, führt uns das Aegyptische zurück. Um die Stärke denken zu lernen, hatte man sie von der Schwäche zu scheiden; um das Dunkel zu begreifen, das Licht davon zu sondern; um „viel" zu fassen, „wenig" im Geiste dagegen zu halten. Diejenigen ägyptischen Worte, welche, in ihr Gegentheil umschlagend, die beiden Glieder des ursprünglichen Vergleichs erhalten zeigen, gewähren einen Einblick in die mühselige Werkstatt, in welcher die ersten und nöthigsten Gedanken — heute die geläufigsten und am mühelosesten übernommenen — geschmiedet wurden. In der gesprochenen Rede können hier nur der Zusammenhang und die Geste gezeigt haben, was gemeint war.
Uebrigens ist die Zahl der erhaltenen ägyptischen Worte, welche Sinn-