Issue 
(1879) 27
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Ludwig Geiger in Berlin.

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ist, ganz besonders für diesen Krieg Paßt, daß er, der die Cultur des Bodens auf Jahrzehnte vernichtete, auch die Pflege des Geistes hemmte und störte. Doch dies ist nicht der Fall: die geschichtliche Entwicklung kann nicht gestört, die Literatur kann wol zu minder vernehmlichem Reden, aber nie zu völligem Schweigen gebracht werden. Indessen an mannigfachen Ein­wirkungen des Krieges fehlt es nicht: der Druck, der auf den Geistern lastet, hindert das freie Aussprechen des Gedankens, das Eindringen der Fremden, besonders der Franzosen, bringt fremde Elemente in das deutsche Geistesleben. Zu diesen Merkmalen der Literaturepoche des dreißigjährigen Krieges kominer andere, welche dem 17. Jahrhundert im Allgemeinen angehören: das einseitige Werthlegen auf die Form, deren kunstvolle oder gekünstelte Gestaltung für die Armuth des Inhalts entschädigen soll, das Hervordrängen des gelehrten Elements, das den frischsprudelnden Quell der Volkspoesie trübt oder durch Gestrüpp und Geröll feine freie Bewegung hemmt.

Trotzdem wir diese Mängel erkennen, werden wir uns hüten müssen, die ganze Zeit zu verdammen. Vielmehr gilt es hier wie bei allen geschicht­lichen Ereignissen, das Einzelne zu prüfen und nach einer Erforschung der besonderen Momente ein allgemeines Urtheil zu fällen, nicht aber nach vor­gefaßten Meinungen über Personen und ganze Zeiten zu richten.

Daher darf man Martin Opitz (15971639) nicht blos als eine literarische Euriosität betrachten, sondern muß versuchen, ihn nach feinen Schöpfungen im Verhältniß zu feiner Zeit zu würdigen.

Opitz' Hauptbedeutung liegt in feiner kleinen Schrift:Von der deutschen Poeterei", die, wie er selbst sagt, in wenigen Tagen entstanden und, wie wir wissen, mit Zugrundelegung eines Buches von Ronsard gearbeitet ist. In dieser Schrift spricht Opitz drei für den Dichter giltige Grundsätze aus, 1. er müsse sich die Alten zu bestimmten Vorbildern wählen, 2. er müsse nach bestimmten Vorschriften dichten, unter denen die wichtigste, daß er den Silben nach ihrer Betonung einen verschiedenen Werth zu geben habe, 3. er müsse sich der deutschen Sprache bedienen und deutsche Gesinnung in sich und in den Lesern nähren; Grundsätze, welche von ihm und seinen Genossen treu befolgt, eine neue Epoche der deutschen Poesie Hervorriesen.

Opitz begnügte sich indeß nicht mit dem Aussprechen von Theorieen, sondern versuchte sich auch in der Praxis, freilich mit geringerem Erfolge. Denn in allen seinen zahlreichen poetischen Werken, lyrischen Gedichten und Dramen, Lehrgedichten und Beschreibungen zeigt er wohl Verstand, aber eine Phantasie, legt er übergroßes Gewicht auf die Form und prunkt mit einer oft übel angebrachten Gelehrsamkeit. Er zeigt nicht selten gewandte Verse und eine Spur von guter Gesinnung, am meisten in denTrostgedichten in Widerwärtigkeiten des Krieges", wo neben allen historischen und philo­sophischen Reminiscenzen der gewaltige Gegenstand ihm manch männliches Wort entlockt, aber niemals und nirgends zwingt er uns zu dem Bekenntniß, daß wir einen bedeutenden Dichter vor uns haben.