Issue 
(1879) 27
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Der dreißigjährige Urieg und die deutsche Literatur. ^ 389°

Die Nachwelt, von der wan behauptet, daß sie gerecht richtet, hat hier ihres Amtes seltsam gewaltet: Opitz hat stets und überall hohen Ruhm genossen, Fleming wird nur von einer kleinen Gemeinde gekannt und geehrt; von Opitz weiß jeder Schulknabe, daß er der Regenerator der deutschen Poesie gewesen, von Fleming wußte Goethe nur zu sagen, daß seine Werke in Franzband, ehrenvoll mit goldverzierten Rücken in seines Vaters Büchersammlung standen, und doch war Opitz ein feiler Verskünstler, Fleming ein charaktervoller Dichter.

Ein Dichter der Liebe und des Vaterlandes, in einer Zeit, in welcher der Haß des Einen gegen den Andern gepredigt und die Vaterlandslosigkeit säst zum Dogma erhoben war. Von seiner Jugend an hat er die Liebe gepriesen und wenn er auch die Unsitte seiner Genossen, den von ihnen Besungenen Schäfernamen zu geben, beibehielt, so zwang er sich doch niemals zu verlogenen Empfindungen. Er mag mit Petrarca verglichen werden, nicht blos, weil er, gleich Jenem, die Sonettenform unter seinen Genossen als einer der Ersten und Geschicktesten handhabt, sondern weil er, wie der italienische Meister, in dev Wollust des Schmerzes, in hoffnungsloser Resignation sich am wohlsten fühlt.

Auf seiner Reise nach Asien, die er (1633) mit der Gesandtschaft des Herzogs von Holstein-Gottorp machte, lernte er in Reval die ältere Tochter Elise eines angesehenen Bürgers Niehnsen kennen und lieben. Aber das Verhältnis) dauerte nicht lange. Schon auf seiner Reise mußte er hören, daß Elise einem Andern ihre Hand gereicht habe und, lange untröstlich über diesen Verlust, entschloß er sich endlich, sich mit ihrer jüngeren Schwester Anna zu verloben, die er freilich, durch einen zu frühen Tod überrascht, auch nicht heimführen konnte. In zahlreichen Gesängen besang er die beiden Mädchen, pries das Glück der Liebe, und beklagte das Unglück derselben, beschrieb und verherrlichte die Gunstbeweise der Geliebten, die geringfügigen Vorgänge seines Liebelebens und schilderte mit traurigem Behagen ihre Untreue und seinen Schmerz, ihre leichte Auffassung der Lcbensverhältnisse und seine schwermüthige, ihn und Andere bedrückende Betrachtungsweise. Denn er fühlt sich niemals wohl. Wenn er von der Liebe gefesselt ist, sehnt er sich, da er doch den Unbestand des Mädchens voraussieht, nach der Freiheit, und hat er diese erlangt, so möchte er wieder in Banden sein, oft weiß er nicht, ob er lachen oder weinen solle.

Ich schlaf', ich träume bei dem Wachen,

Ich ruh' und habe keine Ruh',

Ich thu' und weiß nicht was ich thu',

Ich weine mitten in dem Lachen,

Ich denk', ich mache dies und das,

Ich schweig', ich red' und weiß nicht was.

Die Sonne scheint für mich nicht Helle,

Mich kühlt die Gluth, mich brennt das Eis,

Ich weiß und weiß nicht, was ich weiß,

Die Nacht tritt an des Tages Stelle,

Jetzt bin ich dort, jetzt da, jetzt hier,

Ich folg' und fliehe selbst vor mir.