Issue 
(1879) 27
Page
390
Turn right 90°Turn left 90°
  
  
  
  
  
 
Download single image

3D0 Ludwig Geiger in Berlin. -

Aber aus dieser unbehaglichen Stimmung reißt er sich selbst durch den Gedanken an ein Höheres: an die Gottheit und an das Vaterland.

Fleming besitzt ein kindlich-frommes Gemüth. Er hat nicht blos in jenem allbekannten Liede:In allen meinen Thaten laß ich den Höchsten

rathen" das beständige Vertrauen auf Gottes väterliche Fürsorge ausgesprochen, sondern in vielen anderen, die theils durch seine gefahrvolle Reise, theils durch sein Liebesnnglück, theils durch die elende Lage des Vaterlandes ver­anlaßt waren, seine Ueberzeugnng von Gottes Macht und von der Noth- wendigkeit seines baldigen Eingreifens in die irdischen Dinge verkündet.

Die Geschicke des Vaterlandes verfolgte Fleming von der Fremde aus theilnahmsvoll und in schmerzlicher Erregung. Grade in der Fremde konnte er erkennen, wie sehr der deutsche Name an Herrlichkeit verloren, von hier aus konnte er seine Wünsche, daß Ruhe und Frieden bald eintreten möchten, um das Gedeihen des Ganzen zu fördern, aussprechen, ohne in das Getriebe der Parteien einzutretcn, er konnte seine Liebe und seine Sehnsucht nähren, ohne durch den Anblick des Jammers und des Elends stets erschreckt zu werden.

Unter den Männern, von denen er die Erhebung des Vaterlandes am ehesten hofft, steht Gustav Adolf in erster Reihe. Aber in den ihm gewidmeten Gedichten erhebt er sich nicht über das Maß des Gewöhnlichen und theilt hierin das Loos der meisten Volks- und Kriegsliederdichter jener Zeit. Sie alle nämlich leiden an gemeinsamen Mängeln, welche das Volkslied des 17. Jahrhunderts von der Höhe, die es im 16 Jahrhundert erreicht hatte, herab­schleudern. Die Lieder entspringen erstens nicht mehr aus der Mitte des Volks, sondern verdanken ihren Ursprung gelehrten Leuten, die nicht im Tone des Volkes reden, ihre Sprache vielmehr mit fremden Wörtern überreich beladen; sie vertreten zweitens nicht mehr die Gesammtheit, die sich eines Sinnes fühlt, sondern eine der streitenden Parteien; sie sind drittens nicht mehr sangbar, weil der Dichter nicht mehr der Sänger ist, oder sind aus fremde Melodien gepfropft so daß der Zusammenhang zwischen Wort und Lied zerrissen ist; sie sind viertens nicht mehr Ausdruck eines Gefühls, einer Empfindung über Ereignisse, sondern wortreiche, mit Erwägungen überladene Berichte von denselben. Nur in einer Beziehung sind die Volkslieder des dreißigjährigen Krieges denen des 16. Jahrhunderts ähnlich, darin nämlich, daß sie sich bestimmte Lieblinge erkiesen. Wie im 16. Jahrhundert Maximilian I. und Ulrich von Würtemberg die Helden, so ist nun Gustav Adolf der Abgott.Als Held aus dem Norden", alsAgathander" wird er gepriesen, als Herkules, der die Ungeheuer, die sich ihm widersetzen, vernichtet, als Bräutigam , der seine sehnsuchtsvolle Braut endlich beglückt, auch scherzhaft wird erdes heiligen römischen Reiches Lichtputzer",der Arzt, der den Bandwurm von Liga tödtet",der Jäger der Breitenseldischen Schweinhatz" angeredet. Man verherrlicht seine Thaten, seine Siege, man will an seinen Tod mitten in der siegreichen Schlacht nicht glauben, und kann sich, nachdem das traurige Gerücht zur Wahrheit