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Ludwig Geiger in Berlin.
dadurch hinter ihm zurückstäuden, daß sie keine unsterbliche Seele besäßen und mit dem Verluste des Leibes jedes Anrecht aus Fortexistenz ausgeben müßten. Durch diese Erinnerungen und Mahnungen wird Simplicissimus bewogen, die Welt zu verlassen, die den Menschen nur reize und verführe, Gott aber allein sein Herz zu weihen. Daher nimmt er feierlich Abschied von der Welt und wird ein Einsiedler.
Damit war der Roman in seiner ersten Fassung zu Ende.
Er fand jedoch bei den Zeitgenossen eine so ungeheure Theilnahme, dast nicht nur fast unmittelbar nach der Originalausgabe verschiedene Nachdrucke erschienen, sondern daß von unberufener Seite Fortsetzungen gearbeitet wurden, die den Simplicissimus wieder in's Leben einführten und ihn neue Abenteuer bestehen ließen. Um diesem Unwesen entgegenzutreten, und um seinem Gedanken noch klareren, bestimmteren Ausdruck zu geben, ließ auch Grimmelshausen seinem Roman eine Fortsetzung folgen, die, im Gegensätze zu manchen späteren Zusätzen, Nachträgen und Nachbildungen im nothwendigen Zusammenhänge mit dein Hauptromane steht.
Simplicissimus ist auch in der Einsamkeit ein Weltkind geblieben, zwar nicht in Thaten, aber in Gesinnungen. Noch glaubt er dadurch, daß er sich von dem Schlechten znrückzieht, ein besonderes Verdienst zu erlangen, noch ist er nicht zu der Ueberzeugung vorgeschritten, daß er dadurch bloß seine Pflicht erfülle. Bei diesem Zustande gewinnt er durch Träume und Lectüre die Ansicht, daß er nicht im Abschließen von der Welt, sondern im Kampfe mit der Welt seine Tugend bewähren müsse, und bcgiebt sich auf's Nene in's Leben, um seine Widerstandskraft zu erproben.
Aber nun ist sein Zug nicht mehr dazu bestimmt, bunte Abenteuer zu hänfen; vielmehr gedenkt er, wie es für den guten Katholiken sich ziemt, durch Italien nach dem heiligen Lande zu gehen. Jedoch dieses Ziel wird nicht von ihm erreicht. Ein letztes Abenteuer läßt ihn nicht dahin gelangen; sondern das Schiff, auf dem er sich befand, untergehen und ihn selbst mit einem Gefährten ans eine einsame Insel gerathen. Noch einmal erscheint ihm der Teufel und zwar in weiblicher Gestalt, verschwindet aber vor dem Zeichen des Kreuzes; der Gefährte stirbt, Simplicissimus bleibt allein. Er hat des Lebens Prüfungen überstanden, nun birgt für ihn die Einsamkeit keine Gefahren mehr. Er bleibt allein und widersteht den Lockungen vorbei- sahrender Seeleute, die ihn nach seinem Geburtslande bringen möchten: seine Insel ist seine Heimath geworden, die er nicht mehr verlassen will. Lascht nun der wirkliche Abschluß des Romans.
Der Roman ist nicht nur eine der hervorragendsten culturgeschichtlichen Schilderungen unserer Literatur, sondern zugleich eine der bedeutendsten Erzählungen, welche wir besitzen. Reichthnm der Erfindung, Vortresflichkeit der Charakteristik, rascher Fluß der Darstellung zeichnen ihn aus. Man hat auch ihm den Vorwurf der Unsittlichkeit nicht erspart, den man gegen so manches bedeutsame Werk anderer Literaturen erhoben. Aber der Vorwurf