Issue 
(1879) 27
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Asiaticu s.

§ 0 ^

der einzelnen Machthaber war Recht, allein das Tribunal hatte für seine Territorien einige Rechtsnormen den chinesischen Philosophen entlehnt. Gewohnheiten, Gebräuche, Ortsrechte u. s. w. konnten sich somit nicht aus­bilden, und wenn die Regierung seht beginnt, Rechtszustände zu schaffen, so findet sie nichts vor, woraus sie aufbauen könnte. Für das Strafrecht hat man im Allgemeinen den Code p^ual recipirt und unter gleichzeitiger Abschaffung der Folter ein milderes Strafverfahren eingeführt. In Wirklichkeit aber werden die Strafen von den Richtern willkürlich verschärft und die Folter noch immer, wenn auch nur ausnahmsweise, angewendet. Zwischen Samurais und dem gewöhnlichen Volk ist, trotz der gesetzlichen Gleichberechtigung aller, der Unterschied bcibehalten, daß jene für Verbrechen im Allgemeinen milder und nicht in so entehrender Weise bestraft werden, wie diese. Für das Civilrecht ist weiter nichts geschehen, als daß mit der Codisication eines Civilproceßrechtes der Anfang gemacht ist, aber mit zu wenig System und Verständnis^, als daß sie praktisch brauchbar wäre.

Daß aus den geschilderten Verhältnissen keine rechtskundigen Männer haben hervorgehen können, ist natürlich; europäisch gebildete Juristen giebt es kaum. Bei der Besetzung der Richterstellen berücksichtigt die Regierung nicht die besondere Fähigkeit für das Fach, sondern die Politische Stellung des Candidaten. Der Wechsel der Personen ist in der Justiz eben so groß wie in der Verwaltung; die erste Bedingung für die Zuverlässigkeit des Richter­standes, die Unabsetzbarkeit, somit unerfüllt. So tritt denn ganz natürlich zu den vorher erwähnten Mängeln des Rechtszustandes an und für sich, Unfähigkeit, Nachlässigkeit und Parteilichkeit der Richter, und vor Allem tyrannische Behandlung des Recht suchenden Publicums. Ter Japaner, der einen Proceß führt, ist Wochen und Monate lang seiner Beschäftigung ent­zogen; denn so lange der Proceß schwebt, muß er täglich im Gerichtshöfe anwesend sein, damit er jeder Zeit, wenn es dem Richter gefüllt, sich mit seiner Sache zu beschäftigen, gegenwärtig ist; wagt er Vorstellungen, so wird er bestraft. Ter gewöhnliche Mann, der keine Mittel besitzt, sich einen Stell­vertreter oder Advocaten zu nehmen, erleidet daher lieber die empfindlichsten Verluste, als daß er vor Gericht geht. Der Ausländer, der eine Klage gegen Japaner hat, wird Persönlich allerdings glimpflicher behandelt, nicht aber seine Sache. Wird ihm aber schließlich nach langen Verschleppungen und unendlichen Aergernissen sein Recht zuerkannt, so stellt sich eine andere Schwierigkeit ein. Die meisten Urtheile nämlich sind unexecntirbar, weil der Beklagte gewöhnlich sein Vermögen in seiner Familie in Sicherheit bringen kann. In Japan tritt die Individualität gegen die Familie zurück. Der Chef der Familie ist nur deren äußerer Vertreter, das Vermögen gehört ihr. nicht ihm. Alle Familienmitglieder treten für einander ein, was sich auch im früheren Rechtswesen dadurch aussprach, daß dieselben für Vergehen oder Schulden der einzelnen mit ihren: Vermögen, ja sogar mit ihrem Leben hasteten. Diese Haftbarkeit der einzelnen Familienmitglieder untereinander