Heft 
(1897) 12
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Stechkin.

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und lange rote Strümpfe, lauter Dinge, die Karline schon Zu letzten Weihnachten geschenkt hatte. Tags darauf, am ersten Feiertag also, hatte das Kind den Staat auch ungezogen, indessen bloß so still für sich, weil sie sich genierte, sich im Dorfe damit zu zeigen; jetzt aber, wo sie bei dem gnäd'gen Herrn in Krankenpflege gehen sollte, jetzt war die richtige Zeit dafür da.

Die Nacht verging still; niemand war gestört worden. Um sieben erst kam Engelke und sagte: Nu, lütt Deern, stell) upp, iS all seben." Agnes war auch wirklich wie der Wind aus dem Bett, fuhr mit einem mitgebrachten Hornkamin, dem ein paar Zähne fehlten, durch ihr krauses, langes Blondhaar, putzte sich wie ein Kätzchen und zog dann den himmel­blauen Hänger, die roten Strümpfe und zuletzt auch die Knöpsstiefel an. Gleich danach brachte ihr Engelke einen Topf mit Milchkaffee, und als sie damit fertig war, nahm sie ihr Strickzeug und ging in das große Zimmer nebenan, wo Dubslav bereits in seinem Lehnstuhl saß und auf seine Schwester wartete. Denn um acht nahmen sie das erste Früh­stück gemeinschaftlich.

So, Agnes, das is recht, daß du da bist. Hast du denn schon deinen Kaffee gehabt?"

Agnes knickste.

Nu setz dich da mal ans Fenster, daß du bei deiner Arbeit besser sehn kannst; du hast ja schon dein Strickzeug in der Hand. Solch junges Ding wie du muß immer was zu thun haben, sonst kommt sie aus dumme Gedanken. Nicht wahr?"

Agnes knickste wieder, und da sie sah, daß ihr der Alte weiter nichts zu sagen hatte, ging sie bis an das ihr bezeichnte Fenster, dran ein länglicher Eichentisch stand, und sing an zu stricken. Es war ein sehr langer Strumpf, brandrot und, nach seiner Schmalheit zu schließen, für sie selbst bestimmt.

Sie war noch nicht lange bei der Arbeit, als Adelheid eintrat und ans ihren im Lehnstuhl sitzenden Bruder znschritt. Bei der geringen Helle, die herrschte, traf sich's, daß sie von dem Gast am Fenster nicht recht was wahrnahm. Erst als Engelke mit dem Frühstück kam und die plötzlich geöffnete Thür mehr Licht einfallen ließ, bemerkte sie das Kind und sagte: Da sitzt ja wer. Wer ist denn das?"

Das ist Agnes, das Enkelkind von der Buschen."

Adelheid bewahrte mit Mühe Haltung. Als sie sich wieder znrechtgefunden, sagte sie:So, Agnes. Das Kind von der Karline?"

Dubslav nickte.

Das ist mir ja 'ne Ueberraschung. Und wo hast du sie denn, seit ich hier bin, versteckt gehalten? Ich habe sie ja die ganze Woche über noch nicht gesehn."

Konntest du auch nicht, Adelheid; sie ist erst seit gestern abend hier. Mit Engelke ging das nicht mehr, wenigstens nicht aus die Dauer. Er ist ja so alt wie ich. Und immer 'raus in der Nacht und 'rauf und 'runter und mich umdrehn und heben. Das könnt' ich nich mehr mit ansehn."

Und da hast du dir die Agnes kommen lassen? Die soll dich nun 'rnmdrehn und heben? Das Kind,

das Wurm. Haha. Was du dir doch alles für Geschichten machst."

Agnes," sagte hier Dubslav,du könntest mal zu Mamsell Pritzbur in die Küche gehn und ihr sagen, ich möchte heute mittag 'ne gefüllte Taube haben. Aber nich so mager und auch nich so wenig Füllung, und daß es nich nach alter Semmel schmeckt. Und damr. kannst du gleich bei der Mamsell unten bleiben und dir 'ne Geschichte von ihr erzählen lassen, vom ,Schäfer und der Prinzessin' oder vom .Fischer un sine Frill; Rotkäppchen wirst du Wohl schon kennen."

Agnes stand auf, trat unbefangen an den Tisch, wo Bruder und Schwester saßen, und machte wieder­holt ihren Knicks. Dabei hielt sie das Strickzeug und den langen Strumpf in der Hand.

Für wen strickst du denn den?" fragte die Domina.

Für mich."

Dubslav lachte. Adelheid auch. Aber es war ein Unterschied in ihrem Lachen. Agnes nahm übrigens nichts von diesem Unterschied wahr, sah vielmehr ohne Furcht um sich und ging aus dem Zimmer, um unten in der Küche die Bestellung auszurichten.

Als sie hinaus war, wiederholte sich Adelheids krampfhaftes Lachen. Dann aber sagte sie:Dubs­lav, ich weiß nicht, warum du dir, so lang ich hier bin, gerade diese Hilfskraft angenommen hast. Ich bin deine Schwester und eine Märkische von Adel. Und bin auch die Domina von Kloster Wutz. Und meine Mutter war eine Radegast. Und die Stech- line, die drüben in der Gruft unterm Altar stehn, die haben, soviel ich weiß, ans ihren Namen ge­halten und sich untereinander die Ehre gegeben, die jeder beanspruchen durfte. Du nimmst hier das Kind der Karline in dein Zimmer und setzt es ans Fenster, fast als ob's da jeder so recht sehn sollte. Wie kommst du zu dem Kind? Da kann sich Woldemar freuen und seine Frau auch, die so was Inberührtes' hat. Und Gräfin Melusine! Na, die wird sich wohl auch freun. Und die darf auch. Aber ich wiederhole meine Frage, wie kommst du zu dem Kind?"

Ich Hab' es kommen lassen."

Haha. Sehr gut; .kommen lassen'. Der Klapperstorch hat es dir wohl von der grünen Wiese gebracht und natürlich auch gleich für die roten Beine gesorgt. Aber ich kenne dich besser. Die Leute hier thun immer so, wie wenn du dem alten Kortschädel sittlich überlegen gewesen wärst. Ich für meine Person kann's nicht finden und sagte dir gern meine Meinung darüber. Aber ich nehme häßliche Worte nicht gern in den Mund."

Adelheid, du regst dich auf. Und ich frage mich, warum? Du bist ein bißchen gegen die Buschen, nun gut, gegen die Buschen kann man sein; und du bist ein bißchen gegen die Karline, nun gut, gegen die Karline kann man auch sein. Aber ich sehe dir's an, das eigentliche, was dich aufregt, das ist nicht die Buschen und ist auch nicht die Karline, das sind bloß die roten Strümpfe. Warum bist du so sehr gegen die roten Strümpfe?"