228
Meöer Land
Sie, Uncke, ja, Sie müssen laufen wie 'n Landbriefträger. Es hat aber auch sein Gutes; zu Fuß macht geschmeidig, zu Pferde macht steif. Und macht auch faul. Und überhaupt, Gebrüder Beeneke is schon immer das Beste. Da kann man nich Zu Fall kommen. Aber jeder will heutzutage hoch 'raus. Das is, was sie jetzt die ,Signatur der Zeit' nennen. Haben Sie den Ausdruck schon gehört, ^ Uncke?" I
„Zu Befehl, Herr Major."
„Und die Sozialdemokratie will auch hoch 'raus und so zu Pferde fitzen wie Pyterke, bloß noch viel ^ höher. Aber das geht nicht gleich so. Gut Ding will Weile haben. Und Torgelow, wenn er auch vielleicht reden kann, reiten kann er noch lange nicht. Sagen Sie, was macht er denn eigentlich? Ich meine Torgelow. Sind denn unsre kleinen Leute jetzt mehr zufrieden mit ihm?"
„Nein, Herr Major, sie find immer noch nicht zufrieden mit ihm. Er wollte da neulich in Berlin reden und hat auch wirklich was zu Graf Posa- . dowsky gesagt. Und das is so dumm gewesen, daß ! es die andern geniert hat. Und da haben sie ihn ^ bedeutet: ,Torgelow, nu bist du still; so geht das ^ hier nich'."
„Ja," lachte Dnbslav, „und wo der uu steht, da sollte ich eigentlich stehn. Aber es is doch besser so. Nu kann Torgelow zeigen, daß er nichts kann. Und die andern auch. Und wenn sie's alle gezeigt haben, na, dann sind wir vielleicht wieder dran ' und kommen noch mal oben ans, und jeder kriegt Zulage. Sie auch, Uncke. Und Pyterke natürlich auch."
Uncke schmunzelte und legte seine zwei Dienst- ! finger an die Schläfe.
„ .. . Vorläufig aber müssen wir abwarten und den sogenannten ,Ausbruch' verhüten und dafür sorgen, daß unsre Globsower zufrieden sind. Und wenn wir klug sind, glückt es vielleicht auch. Glauben Sie nicht auch, Uncke, daß es kleine Mittel giebt?"
„Zu Befehl, Herr Major. Kleine Mittel giebt es. Es hat's schon."
„Und welche meinen Sie?"
„Musik, Herr Major, und verlängerte Polizeistunde."
„Ja," lachte Dubslav, „so was Hilst. Musik und Tanz, dann sind die Mädchen zufrieden."
„Und," bestätigte Uncke, „wenn die Mädchens ^ zufrieden sind, Herr Major, dann sind alle zufrieden."
Uncke hatte Zusagen müssen, mal wieder vor- - Znsprechen, aber es kam nicht dazu, weil Dubslavs ! Zustand sich rasch verschlimmerte. Von Besuchern ! wurde keiner mehr angenommen, und nur Lorenzen hatte Zutritt. Aber er kam meist nur, wenn er gerufen wurde. ^
„Sonderbar," sagte der Alte, währender in den ! Frühlingstag hinausblickte, „dieser Lorenzen is eigent- ^ lich gar kein richtiger Pastor. Er spricht nicht von ^ Erlösung und auch nicht von Unsterblichkeit, und is beinah', als ob ihm so was für alltags wie zu schade fest Vielleicht is es aber auch noch was andres, und er
und Meer.
weiß am Ende selber nicht viel davon. Anfangs Hab' ich mich darüber gewundert, weil ich mir immer sagte: Ja, solch Talar- und Bässchenmann, der muß es doch schließlich wissen; er hat so seine drei Jahre studiert und eine Probepredigt gehalten, und ein Konsistorialrat oder wohl gar ein Generalsuperintendent hat ihn eingesegnet und ihm und noch ein paar- andern gesagt: ,Nun gehet hin und lehret alle Heiden'. Und wenn man das so hört, ja, da verlangt man auch, daß einer weiß, wie's mit einem steht. Is gerade wie mit den Doktors. Aber zuletzt begiebt man sich und hat die Doktors am liebsten, die einem ehrlich sagen: ,Hören Sie, wir wissen es auch nicht, wir müssen es abwarten.' Der gute Sponholz, der nun wohl schon an der Brücke mit dem Ichthyosaurus vorbei ist, war beinah' so einer, und Loreuzen is nun schon ganz gewiß so. Seit beinah' zwanzig Jahren kenn' ich ihn, und noch hat er mich nicht ein einziges Mal bemogelt. Und daß man das von einem sagen kann, das ist eigentlich die Hauptsache. Das andre... ja, du lieber Himmel, wo soll es am Ende Herkommen? Auf dein Sinai hat nun schon lange keiner mehr gestanden, und wenn auch, was der liebe Gott da oben gesagt hat, das schließt eigentlich auch keine großen Rätsel auf. Es ist alles sehr diesseitig geblieben; dn sollst, du sollst, und noch öfter ,du sollst nicht'. Und klingt eigentlich alles, wie wenn ein Nürnberger Schultheiß gesprochen hätte."
Gleich danach kam Engelke und brachte die Mittagspost. „Engelke, du könntest mal wieder die Marie Zu Lorenzen 'rüberschicken — ich ließ' ihn bitten."
Lorenzen kam denn auch und rückte seinen Stuhl an des Alten Seite.
„Das ist recht, Pastor, daß Sie gleich gekommen sind, und ich sehe wieder, wie sich alles Gute schon gleich hier unten belohnt. Sie müssen nämlich wissen, daß ich mich heute schon ganz eingehend mit Ihnen beschäftigt und Ihr Charakterbild, das ja auch schwankt wie so manch andres, nach Möglichkeit festgestellt habe. Würde mir das Sprechen wegen meines Atmens nicht einigermaßen schwer, ich wär' im stände, gegen mich selber in eine Art Indiskretion zu verfallen und Ihnen auszuplaudern, was ich über Sie gedacht habe. Habe ja, wie Sie wissen, 'ne natürliche Neigung zum Ausplaudern, zum Plaudern überhaupt, und Kortschädel, der sich im übrigen durch französische Vokabeln nicht auSzeichnete, hat mich sogar einmal einen ,Causeur" genannt. Aber freilich schon lange her, und jetzt ist es damit vorbei. Zuletzt stirbt selbst die alte Kindermuhme in einem aus."
„Glaub' ich nicht. Wenigstens Sie, Herr von Stechlin, sorgen für den Ausnahmesall."
„Ich will es gelten lassen und mich auch gleich legitimieren. Haben Sie denn in Ihrer Zeitung gelesen, wie sie da neulich wieder dem armen Bennigsen zugesetzt haben? Mir mißfällt es, wiewohl Bennigsen nicht gerade mein Mann ist."
„Auch meiner nicht. Aber (er sei, wie er sei) er ist doch ein Excelsior-Mann. Und wer Hierlandes