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Jugendliche in der Epoche gesellschaftlicher Veränderungen : Problemwahrnehmung und -bewältigung bei jugendlichen Schülern in Potsdam und St. Petersburg / Hrsg.: Universität Potsdam, Institut für Psychologie, Professur Didaktik der Psychologie/Pädagogische Psychologie; Russische Staatliche Pädagogische Universität "A. I. Herzen" St. Petersburg, Psychologisch-Pädagogische Fakultät [Red.: Bärbel Kirsch ; Ludmilla Regusch]
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Jugendlichen ziemlich belastend. Weniger belastend waren Probleme mit Gleichaltrigen, aus heterosexuellen Beziehungen resultierende Probleme oder auch Probleme mit den Eltern und der Freizeit.

Die alltäglichen Stressoren variierten in ihrer Bedeutung und in der belastenden Wirkung ebenso wie die kritischen Ereignisse alters- und geschlechtsspezifisch. Weibliche Jugendliche nahmen dieselben normativen Forderungen und Ereignisse gegenüber den männlichen Jugendlichen als belastender wahr. Sie waren auch durch interpersonelle Probleme mehr gestreßt als männliche Jugendliche, welche andererseits durch Leistungsanforderungen und Zukunftsprobleme mehr belastet waren(Seiffge-Krenke 1990, 1995, Groer et al. 1992, Hendricks 1980& Parks 1977).

In unterschiedlichen Altersstufen haben unterschiedliche Stressoren Priorität. Bei den 14jährigen sind es die familialen Stressoren, bei den 15-17jährigen die Probleme mit Gleichaltrigen und bei den 18-20jährigen die Probleme mit den Schulabschlüssen sowie mit der Entscheidung über den Beruf(Compas et al. 1989, Seiffge-Krenke 1984, 1995, Boekaerts 1996). Dies kann damit zusammenhängen, daß in den unterschiedlichen Altersstufen unterschiedliche Entwicklungsaufgaben Priorität haben(Havighurst 1948, Dreher& Dreher 1985).

Es gibt keine vergleichbare Studie mit Jugendlichen in der DDR, die gezeigt hätte, welches die alltäglichen Stressoren bei diesen Jugendlichen waren, und wie groß das Ausmaß der Belastung war. Lediglich zum Auftreten kritischer Ereignisse, wie die Scheidung der Eltern, lagen vergleichbare Zahlen vor, die eine höhere Belastung der ostdeutschen Jugendlichen belegen(Nauck 1995). Aus retrospektiven Analysen(Friedrich und Förster 1994, Wagner& Sydow 1996) kann man jedoch zu dem Schluß gelangen, daß einige der Stressoren, die für westdeutsche und westeuropäische Jugendliche große Bedeutung hatten, für die Jugendlichen in der DDR weniger wichtig waren. So hatten die meisten Jugendlichen eine sichere Zukunftsperspektive und waren auch nicht durch schulische Leistungsanforderungen besonders belastet. Auch die Auseinandersetzung mit der eigenen Person, die Entscheidung über Werte und Lebensziele, die Entwicklung eines eigenen Lebensstils waren nur für eine Minderheit erstrebenswert und möglicherweise belastend. Für diese Jugendlichen konnten auch die permanenten Bevormundungen, Unterforderungen und Einschränkungen der persönlichen Freiheit eine Quelle von Belastungen gewesen sein.

Mit der deutschen Vereinigung veränderten sich die Lebens- und Entwicklungsbedingungen, aber auch die Entwicklungsanforderungen für die ostdeutschen Jugendlichen. Neben den altersgemäßen Veränderungen waren die makrosozialen Veränderungen sowie die in den für Jugendliche relevanten Kontexten Schule, Familie und Peergroup zu verarbeiten(vgl. Wagner und Sydow 1994). Es war zu erwarten, daß die Vielzahl der Veränderungen, die geringe Kontrollierbarkeit und die schwer abschätzbaren Folgen der Ereignisse zu einer vermehrten Problemwahrnehmung und erhöhten Belastung bei den ostdeutschen Jugendlichen führen würden. Besonders belastet sollten nach Elder(1974) und Conger et al.(1994) die jüngeren Jugendlichen sein. Auch war zu erwarten, daß Jugendliche, die in ihrer bisherigen Entwicklung vermehrt mit kritischen Lebensereignisse konfrontiert waren, Probleme in höherem Maße wahrnahmen als Jugendliche, die solche Ereignisse seltener erlebten(Rutter 1979).