Neigungen auslöst, betrachtet Freud das sexuelle. Unter modernen Gesichtspunkten wird ein solcher Ansatz nicht als vollständig adäquat betrachtet(vor allem ım Zusammenhang mit der Vorstellung über die Struktur der Bedürfnisse der Menschen). Jedoch entwickelt sich eben vom historischen Freudianismus ausgehend das Verständnis zwischenmenschlicher Neigungen als wenigbewußte emotionale Erscheinung von Bedürfnissen.
Der S. Freud- Forscher Rapaport(Rapaport 1960, zitiert nach(4)) faßt die„instinktive Neigung“ als die anregende innere psychische Kraft auf, welche die Unbedingtheit, Zyklizität, Selektivität, Ersetzbarkeit charakterisiert. Diese Eigenschaften stellen nach Rapaport in hohem Maße die quantitativen vor den qualitativen Charakteristika der Neigung dar. Jedoch wird die Neigung auch hier gleichermaßen als nichtbewußte Erscheinung der Bedürfnisse, vor allem der organischen, verstanden.
In der russischen Psychologie werden die Neigungen auch als fest mit den Bedürfnissen verbunden betrachtet(z.B. 14). Das Problem der Neigungen bei Jugendlichen wurde in den Arbeiten L.S. Wygotskis aufgeworfen. Die Struktur der Neigungen wurde von ihm im Rahmen der Zielgerichtetheit und bewegter Kräfte der Entwicklung der Psyche gesehen, was den„Schlüssel zum Verständnis der Psychologie der Entwicklung“ darstellt(2).
Aber der beschriebene Zugang zur Natur der Neigungen ist nicht charakteristisch für alle Richtungen der Psychologie. So operieren zum Beispiel ausländische Autoren der Sozialpsychologie, deren Interessen auf dem Gebiet der Forschung einiger zwischenmenschlicher Beziehungen liegen, für gewöhnlich mit dem Terminus „zwischenmenschliche Neigungen“ als Eigenschaft der Liebe(18). Ihr Zugang zur Untersuchung zwischenmenschlicher Neigungen wurde von uns als„sozial“ bezeichnet, die vor allem auf dem Begriff der„Attraktivität‘‘ basiert. Das Wort„attraction‘“ kann wortwörtlich aus dem englischen als„anziehend‘“ übersetzt werden. Allerdings wird der Begriff in der Psychologie weiter gefaßt als nur als Maß der Anziehung eines Individuums zum anderen. Erstens, mit diesem Begriff bezeichnet man den Prozeß der Herausbildung emotionaler Beziehungen als auch das Ergebnis dieses Prozesses, d.h. eine gewisse Qualität der herausgebildeten Beziehungen(1). Zweitens, wenn man nur die Attraktivität als die Beziehung charakterisierend betrachtet, kann man ein Minimum von zwei Komponenten herausstellen:
1. Die Emotion, die auf den anderen Menschen gerichtet ist,
2. Die Einstellung zum anderen als einziges, unverwechselbares Objekt.
Attraktivität unterstellt das Vorhandensein von Gefühl, eine Beziehung zum anderen und seiner Bewertung. Auf das Eintreten und die Entwicklung der Anziehung wirkt ein ganzer Komplex von Ursachen(3), solche wie:
die Eigenschaft eine Objektes der Anziehung
die Eigenschaft eines Subjektes der Anziehung
die Beziehung von Eigenschaften des Objektes und Subjektes der Anziehung die Besonderheiten der gegenseitigen Beziehungen
die Besonderheiten der situationsbedingten Gemeinsamkeiten
der kulturelle und soziale Hintergrund
die Zeit.
86