Die Schriftauslegung( Exegese) kann mit Recht als ein Spiegel der Zeitbildung bezeichnet werden. Wie die Literatur im Allgemeinen Geist und Gemüth in ihrer zur Aeusserung und Mittheilung drängenden Lebendigkeit und Kraft darstellt und so die gediehene Reife, die gewonnenen Anschauungen, das errungene Wissen, den erreichten sittlichen Standpunkt in den verschiedenen Zeitaltern ihrer Entstehung im Ganzen genommen getreulich abbildet, so ist auch die exegetische Literatur auf ihrem Gebiete jedesmal abhängig von den die Auslegung leitenden und bestimmenden Anschauungen, Begriffen und Gedanken, von dem jeweiligen Stande des religiösen und sittlichen Bewusstseins und der geistigen Regsamkeit in dessen Bereich, von den Erfahrungen, Neigungen und Richtungen, welche in der Zeit ihrer Entstehung sich geltend gemacht haben.
Die Eigenthümlichkeit der nordfranzösischen Exegetenschule in dieser Hinsicht ist im Allgemeinen und Besondern bereits Gegenstand eingehender Prüfung und Darlegung geworden. Nachdem LEOPOLD ZUNZ die Wege gezeigt und geebnet hatte ¹), folgte eine Reihe verdienter Schriftsteller) seiner Spur, führte manches bei
1) Zuerst im Leben Raschi's, enthalten in seiner Zeitschrift, Berlin 1823; dann in den Gottesdienstlichen Vorträgen S. 398 und ausführlich in der Hauptstelle: Zur Geschichte und Literatur S. 60 ff; neuerdings in verschiedenen Ergänzungen und Berichtigungen biographischen Inhalts in der Literaturgeschichte der synagogalen Poesie z. B. S. 252. 253. 265.
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A) S. D. LUZZATTO in Kerem chemed VII, 57 ff., Prag 1843; A. GEIGER in den Beiträgen zur jüdischen Literaturgesch.( deutsch) und נטעי נעמנים( hebr.), Breslau 1847 und in Parschandata, Leipzig 1856. Vorher hatte R. KIRCHHEIM im Literaturblatt des Orients, 1844 und GEIGER in seiner Wissensch. Zeitschrift 1844 über die nordfranzösichen Exegeten gehandelt. Neuerdings haben BERLINER in Pletat Soferim,
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