2. Die Entwickelung der progressiven Paralyse.
dass Alle gute Hoffnung fassten. Das Buch über die Geburt der Tragödie verletzte vielleicht manche Philologen, aber die philosophisch Empfänglichen erkannten doch seine Berechtigung an. Vielleicht ist ein Urtheil Ribbecks, das mir sehr treffend zu sein scheint, hier am Platze. Er schreibt an W. Dilthey:„Aber kennen Sie denn schon des Baseler Nietzsche Geburt der Tragödie und was sagen Sie dazu? Ein kunstphilosophischer Dithyrambus im Schopenhauer-Wagnerschen Geist. Etwas holder Wahnsinn und gärender Most, aber doch in der Hauptsache(die freilich im Grunde nicht eben neu ist) treffend und durchaus interessant. Wir können diese Art ingenium in unserer verknöcherten Philologie recht wohl zur Erfrischung gebrauchen, zumal die solidesten Studien zu Grunde liegen.“(Otto Ribbeck, Stuttgart 1901, p. 297). Etwas Merkwürdiges in dem Buche ist die Dionysos-Begeisterung, die später bei dem krankwerdenden Nietzsche wieder aufflammte. Man muss an das ‚les nerveux se recherchent‘ denken, denn Dionysos ist eigentlich der Gott der Hysterie. Sein Kult ist offenbar mit dem noch heute im Orient vorhandenen Religionübungen, wie wir sie zum Beispiele bei den heulenden Derwischen sehen, verwandt, und es vollzog sich, als er aus Thrakien nach GriechenJand eindrang, eine Massen-Suggestion, die an die Epidemieen des Mittelalters erinnert. Das zeigt sich schon daran, dass bei ihm die Weiber in den Vordergrund traten, ganz gegen die sonstige griechische Sitte.*) Den
1) Vergleiche E. Rohde, Psyche, Seelenkult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen, 1894, p. 295 if.