Issue 
(1955) 6
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Vierundneunziger und die Dreiunddreißiger Bürgerschaft % sind Reste solcher alten Stadtverfassung, und die alten Wittenberger von Heute können sich noch gut an den Dreiunddreißiger Platz (Platz der Freiheit) erinnern, der 1910 von der Stadtverwaltung erworben wurde, womit dann auch diese letzte Bürgerschaft aufhörte zu bestehen.

Das ausgehende 19. und der Beginn des 20. Jahrhunderts brachten für die Entwicklung des städtischen Gemeinwesens eine starke Veränderung in der Zusammensetzung seiner Bevölkerung. Wenn noch bis dahin die Bürgerschaft sich aus Ackerbauern, Handwerkern, ihrem Gesinde und ihren Gesellen zusammensetzte, hat die wirtschaftlich günstige Lage Wit­tenberges nunmehr Veränderungen bewirkt, die das Schwergewicht auf den Industriearbeiter verlagerten, die Klasse, die sich beim Fortschreiten des Kapitalismus entwickelte, neu heraufkam und ihren Anspruch anmel­dete. Schon der Bahnbau BerlinHamburg, WittenbergeMagdeburg, WittenbergeLüneburg (1874) und WittenbergePerleberg (1879) brachte einen beträchtlichen Anwuchs der Einwohnerzahlen. Der Anteil, der in Industrie, Handel und Verkehr Beschäftigten, wuchs zusehends, und es war nur natürlich, daß sich damit auch die bisherigen alten Wirtschaftsformen veränderten. Die Industrie, der Großbetrieb, wurde der berufene Träger des technischen Fortschritts. Es mag hier nur chronologisch verzeichnet sein, wie im letzten Jahrhundert Wittenberge in seiner industriellen Be­deutung wuchs: 1823 wurden die Herzschen Ölmühlen errichtet, die Nay- lorschen Tuchfabriken (1850), das Reichsbahn-Ausbesserungswerk (1876), die Singerwerke (1903) und schließlich die Zellwollwerke (1938) schlossen sich an. Wenn Wittenberge um 1800 noch 884 Einwohner zählte, waren es 1840 bereits 2500, 10 Jahre später 4187, 1885 war der erste Zehntausender über­schritten, und der Bau der Singerwerke und der Zellwollefabrik ließen die Einwohnerzahl auf 20 und 30000 hinaufschnellen. Noch vor der Jahrhundert­wende (1895) wurde die Anschlußstrecke der Prignitzbahn auf Mecklenburg erweitert und eine durchgehende Verbindung über Neustrelitz bis Stralsund geschaffen. Diese Verbindung erschloß die um Wittenberge liegenden länd­lichen Gebiete und erleichterte den Zustrom von Arbeitern, die, aus länd­lichen Bezirken kommend, ihre neue Heimat in Wittenberge fanden. Nicht, nur der Ausbau des Eisenbahnnetzes, sondern auch die Erweiterung des Straßennetzes und mehr noch die Erschließung der Elbe als Verkehrsweg unterstützten diese Entwicklung. Als 1820 das erste Dampfschiff mit Passa­gieren in Wittenberge anlegte, war es nur eine Frage der Zeit, daß auch Frachtkähne folgten, und seit 1859 belebten den Fluß stromauf, stromab die schweren Lastkähne mit Gütern aus aller Welt.

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