Heft 
(1955) 6
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unter Teilnahme der Mitglieder des Arbeiter- und Soldatenrates im Rat­haussitzungssaal statt. Der Arbeiter- und Soldatenrat bildete einen Beirat für die Angelegenheiten der Stadtverwaltung, zu dem unter anderen der frühere Bürgermeister Dr. Bocksch gehörte. Damit gaben auch die Witten­berger Arbeiter, wie überall im Reich, ein Stück der noch nicht fest über­nommenen Macht wieder aus der Hand. Diese Macht wurde bekanntlich von den reaktionären Kräften, die nach und nach durch das Zurückweichen der rechten SPD-Führung die Schlüsselstellungen in Industrie und Wirt­schaft wieder einnahmen, dazu ausgenutzt, mit Hilfe der Inflation die Revolution abzuwürgen und damit den Nationalisten den Weg zu ebnen. Audi in Wittenberge kam es zu den Erscheinungen, daß die Frauen der Arbeiter mit Einkaufstaschen zu den Fabriken gingen, um den Arbeitslohn der Männer in Empfang zu nehmen, und dafür die notwendigsten Lebens­mittel einzukaufen, bevor die Preise weiter stiegen. Die Sparguthaben ver­loren über Nacht ihren Wert, und gerade die Arbeiter verloren damit ihre so sauer erworbenen Spargroschen. Aber gerade in dieser Notzeit bewiesen die Arbeiter wieder einmal mehr, daß sie, wenn sie in Solidarität zusam­menstehen, alles, auch das scheinbar Unmögliche, vermögen. Paul Klink und seine mutigen 300 Kollegen begannen im Jahre 1923 mit dem Bau der SiedlungVorwärts, die ein Zeugnis dafür ist, welche Kraft in der ver­einten Arbeiterschaft ruht. Jahre später wurden wieder Arbeitersiedlungen gebaut. In der Zeit des Hillerregimes war 1935 aus der ehemaligen Tuch­fabrik die Norddeutsche Maschinenfabrik, ein Rüstungsbetrieb, geworden, und 1937 begann der Bau der Zellwollwerke. Für beide Betriebe kamen von weit und breit Arbeiter und Fachleute in die Stadt. Schnell mußten sie untergebracht werden, und so entstanden ohne Rücksicht auf Straßen- und Kanalisationsverhältnisse die bekannten Stadtrandsiedlungen an der Lüne­burger Bahn, an der Kyritzer Straße und am Wüstenweg.

1939 hatten die Faschisten ihr Ziel erreicht, der Krieg brach aus. Lange Zeit blieb unsere Stadt selbst von den Einwirkungen des Krieges verschont. Im Frühjahr 1944 sollten dann aber auch die Wittenberger spüren, welche Leiden ein moderner Krieg mit sich bringt. Die ersten Bomben fielen auf die Stadt, richteten Schaden in den Industriewerken an und zerstörten Wohnhäuser. Im März 1945 traf dann ein zweiter, schwerer Schlag Witten­berge. Die Innenstadt mit den größten Kaufhäusern, dem Köllerschen Kino, dem Stadtsaal und vielen Wohnhäusern sank in Schutt und Asche und be­grub viele Menschen unter sich. In den Apriltagen setzten dann amerika­nische Panzer nach der Sprengung der Elbbrücke das Zerstörungswerk von der anderen Seite der Elbe duch Artilleriebeschuß fort. Rauchende Trüm­merberge, heimat- und obdachlose Menschen, eine zerstörte Wirtschaft, das War die Hinterlassenschaft des Faschismus auch in unserer Stadt.

»Und neues Leben blüht aus den Ruinen, dieses Schillerwort fand 1945 in den Mauern unserer Stadt wieder einmal seine Bestätigung. Arbeiter-

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