Heft 
(1956) 11
Seite
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DR. PAUL VIERECK

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Zum Sehen geboren,

Zum Schauen bestellt,

Dem Turme geschworen Gefällt mir die Welt.

(Goethe: Faust)

40 Jahre sind nun vergangen, seit am 27. November 1916 der Kirchturm der Perleberger St. Jakobi-Kirche aus nie mit Sicherheit geklärter Ursache ein Raub der Flammen wurde. Mit dem Wetterhahn, der ihn krönte, ging damals ein Wahrzeichen der Stadt zugrunde.

Kaum ein anderes Tier hat im Leben der Kulturvölker eine so vielseitige Rolle gespielt wie der Haushahn. Obwohl bei ihnen ursprünglich nicht heimisch, ist er seit frühester Zelt auch Haustier der Germanen.

In der Vorstellungswelt und im Brauchtum, in Sprichwörtern und Redens­arten der germanischen Völker hat sein Bild einen festen Platz. Seit dem Mittelalter erscheint er auf den Dächern von Häusern und Türmen dar­gestellt. Wie kam es dazu, welchen natürlichen Eigenschaften verdankte er diesen sinnbildlichen Gebrauch?

Der Hahn, der als Trompete dient dem Morgen,

Erweckt mit schmetternder und heller Kehle den Gott des Tages . . .

heißt es in Shakespeares Hamlet. Er kündet als erster, noch ehe die Morgensonne grüßt, den jungen Tag, sein Ruf vertreibt die Finsternis. Er bringt das Licht und bannt die Nachtgespenster. So wird er als ein heilbringendes, den Menschen freundliches Geschöpf empfunden und in lichten Farben dargestellt. Er hat sein Gegenstück in dem der Göttin Hel geweihten schwarzen Hahn, dem menschenfeindlichen, der Unheil stiftet. Als roter Hahn ist er der Feuervogel, einer Feuergottheit geweiht und je nachdem, ob dabei an die leuchtende und wärmende Feuerflamme oder an den vernichtenden Feuerbrand gedacht wird, ein entweder Heil oder Unheil deutendes Sinnbild. Bei der Entstehung der Redensart vom Roten Hahn als dem Anstifter einer Feuersbrunst mag auch der Vergleich des gezackten feuerroten Hahnenkammes mit einer lodernden Flamme mit­gespielt haben.

Der morgendliche Tagesgruß des Haushahnes klingt unterschiedlich. Sein Ruf ist nach der Volksmeinung hell und schmetternd bei guten, unscharf

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