Heft 
(1956) 11
Seite
350
Einzelbild herunterladen

heitsgetreue Nachrichten, in denen er sich in bitterem Groll über die Verständnislosigkeit der Stadtverordneten und des Kirchenvorstandes aus­läßt und an ihren menschlichen Eigenschaften kein gutes Haar läßt. Als rühmliche Ausnahme nennt er den ßrauereibesitzer Hugo Wendt, dessen auch die Nachwelt als des Verfassers der Wendtschen Chronik, der ein­zigen bis heute geschriebenen Stadtgeschichte Perlebergs, mit Dankbarkeit gedenkt. Alle geborgenen Schriftstücke und sonstigen Beigaben ruhen heute wohlverwahrt im Stadtmuseum. Und auch der Turmhahn selbst hat eine Zuflucht dort gefunden. Auf dem stillen weit- und zeitentrückten Hof des Museums lehnt er müde, tatenlos an eine Hauswand. Vielleicht träumt er von jenem sagenhaften Vogel Phönix, der nach dem Feuertode aufersteht aus seiner Asche. Wird es auch ihm einmal beschieden sein, auf seinem wiederaufgebauten Turm neu zu erstehen in alter Herrlichkeit?

PROF. DR. ERICH SCHWARTZE, FRANKFURT AM MAIN

Es war im Jahre des Heils 1877, im Juni, als ich in Perleberg im Hause des Herrn Tuchtfeld in der Judenstraße das Licht dieser schönen Welt er­blickte. Diese Straße heißt jetzt die Parchimer; das tausendjährige Reich hat sie umgetauft.

Ich habe meine Heimatstadt nur zwei Jahre mit meiner dauernden Gegen­wart beglückt. Schon 1879 siedelten meine Eltern nach Frankfurt a. M. um, nicht ohne mich dahin mitzunehmen, und seitdem habe ich mit geringen Unterbrechungen immer dort gewohnt. Aber wir sind meine ganze Schul­zeit hindurch immer wieder in den Sommerferien vier Wochen in Perleberg gewesen, und ich habe es auch als Erwachsener immer wieder besucht, zuletzt im Dezember 1944 bei der Hochzeit meines Neffen und Patenkindes Kurt Thiele. Jetzt kann ich leider nicht mehr hin, da mein hohes Alter und Krankheit es mir verbieten.

Wenn wir in Perleberg waren, dann wohnten wir immer im Hause meines mütterlichen Großvaters Louis Thiele, der auf dem Marktplatz, da, wo sich heute die Kreissparkasse befindet, ein großes Haus und ein nicht unbedeu­tendes Geschäft hatte, das er allerdings damals bereits seinem ältesten Sohne Gustav Thiele übereignet hatte. In dem altertümlichen schaufenster­losen Laden wußte ich sehr gut Bescheid.

In dem großen Ladentisch befand sich ein Schlitz, durch den das kleine Geld in die darunter befindliche Schublade geworfen wurde. Nach Ge-

J- dev ^ u-Cj.enclz.eLt

Erinnerungen eines alten Perlebergers

350