HANS SEILER, PERLEBERG
Zum Gedenktag für die Opfer des Faschismus am 9. September 1956
Viele unserer Besten, die heute als Arbeiter und Bauern, als Künstler, Ärzte, Ingenieure und Staasmänner arbeiten und schaffen, um unseren Staat zu dem zu machen, was sie seit Jahren erträumten, saßen einstmals in der faschistischen Nacht in den Kerkern.
Wenige nur waren es, die alle Grausamkeiten lebendig überstanden.
Einer von Vielen — Kurt Schumacher schrieb folgendes Bekenntnis. Der Brief wurde nach Jahren in einer Dielenritze der Zelle 8 des Berliner Gestapo-Kellers in der Prinz-Albrecht- Straße gefunden.
Das Schicksal Kurt Schumachers und der Inhalt dieses Bekenntnisses sind es wert, daß wir uns daran erinnern. Es ist ein Beispiel für Unzählige.
Von Beruf bin ich Bildhauer, Holzschnitzer. Riemenschneider, Veit Stoß, Jörg Ratgeb waren meine großen Kollegen, vor denen ich mich voll Demut im Dunkeln beuge. Sie starben an der Seite der Bauernrevolutionäre, im Kampfe gegen Fürsten und Kirche, gegen die Reaktion. Sie konnten nicht blind mit ansehen, wie die Bauern unter der Fron zugrunde zu gehen drohten. Ihr Herz zwang sie auf die Seite der Aufständischen gegen eine Reaktion, welche die Zeit zu ihren Gunsten festhalten wollte.
Deshalb sind ihre Kunstwerke auch so unendlich schön, weil sie in der Zeit standen. Denn nur die Werke der Künstler haben Weltgeltung, sind unsterblich, die im gesellschaftlichen Geschehen und seinen Konflikten standen und stehen, die eine kleine Welt in einer größeren Welt darstellen. Warum führte ich nicht ein zurückgezogenes Künstlerleben, abseits aller Politik? Weil dann eben diese Kunst nur eine kleine Geltung gehabt hätte und nicht unsterblich lebendig gewesen wäre. So sterbe ich lieber, als daß ich das belanglose Leben der Vielen, Allzuvielen gelebt hätte. Es war wenigstens ein großes Ziel. Da außerdem das Dritte Reich nur seiner Kunst den Weg freigab, der Kunst einer politisch zum Untergang verurteilten Sache, war es zwangsläufig für mich, meine künstlerische Freiheit im Politischen Kampf gegen ein nicht lebensfähiges chaotisches System zu erkämpfen, getreu den mittelalterlichen Vorgängern.
Kann je ein Mensch das Maß an Schmerzen, Kummer, Not, Elend und Verzweiflung ermessen, das all die Armen zu erdulden haben, weil sie an
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