KARL KLEINSCHMIDT
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Zur Kulturkonferenz der SED
,Hilfe, ich bin unsichtbar! 1 — Vielleicht kennen Sie, meine verehrten Leser, die sobenannte konfektionierte Albernheit, die nun schon seit Wochen und Monaten durch die Lichtspielhäuser der Deutschen Demokratischen Republik geistert, kassemachend und genau so läppisch, wie ihre westdeutschen Produzenten sich das Unterhaltungsbedürfnis ihrer Landsleute und Zeitgenossen vorstellen
Befriedigung des Unterhaltungsbedürfnisses — meinen Wir das wirklich, wenn wir unseren Rundfunk- oder Fernsehapparat anstellen, ins Kino gehen, ins Theater oder in ein Konzert? — Sind denn Kulturinstitute nichts weiter als Bedürfnisanstalten, Berieselungsanlagen, Kulturzapfstellen oder Automaten, in die man oben seinen Groschen steckt, um unten Erfrischungen in ansprechender Verpackung herauszuziehen?
,Hilfe, ich bin unsichtbar!“ — Theo Lingen ist es gelegentlich als Hauptfigur dieses unsäglichen Filmes, aber er ist es darin total als der große Künstler, der er doch zweifellos ist, und zwar so völlig unsichtbar wie die Kultur in ,Kulturunternehmungen“, die in erster Linie das Geltungsbedürfnis ihrer Manager zu befriedigen haben.
Mag es so sein in kapitalistischen Ländern, in denen das Kulturbedürfnis Einnahmequelle ist wie jede andere Art von Hunger und tagaus tageirt hundertfältig prostituiert wird; in Ländern des Sozialismus hat dieses Bedürfnis eine andere Funktion. Dort ist es nicht Einnahmequelle, sondern Motor der Vorwärtsentwicklung. Dort ist Kultur kein Zeitvertreib, kein Hobby, kein Ablenkungsmanöver und kein Beruhigungsmittel, sondern Inhalt und Ziel aller Arbeit und allen bewußten Lebens: das Soll, das zu erfüllen und überzuerfüllen jeder Mühe und aller Freude aufgegeben ist, höchste Erfüllung des Menschseins und nicht nur dessen ,kulturelle Umrahmung“.
Hier stock’ ich schon! .Kulturelle Umrahmung“ — ist das nicht ein Ausdruck, der gerade in unserem Sprachgebrauch besonders häufig vorkommt?: ; -J- Ob in Elsterwerdä eine Friedenskundgebung durchgeführt werden oder in Berlin eine Regierungserklärung über den Sender gehen soll: wird da nicht fast immer sofort nach der ,ansprechenden Verpackung“ und .kulturellen Umrahmung“ gefragt? — Wie wäre es bei der Friedenskundgebung mit einer Aufführung des Filmes ,Die Kinder von Hiroshima“? — Um Gotteswillen nicht! Das ist doch ein politischer Film; da bleiben uns die Leute weg. Lieber einleitend „Wer hat dich, du schöner Wald?“ und anschließend Tanz!— •v.ido\ ^
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