Heft 
(1957) 11
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nicht durch reguläre Truppen, sondern durch Volontärs (Franktireurs) erfolgte. Nach anfänglicher schlechter Behandlung verbesserte sich jedoch sein Los, je mehr die bürgerliche, revolutionäre Regierung sich festigte. Mit zwei weiteren Leidensgenossen wurden alle drei als preußische Offi­ziere bei ehrenwörtlicher Verpflichtung, nicht zu fliehen, in Nogent-sur- Seine (etwa 70 km von Paris) interniert und in Bürgerquartieren unter­gebracht; sie besaßen innerhalb des Ortes vollkommene Bewegungs­freiheit.

Während nun in aller Welt die kriegerische Politik auf und ab wogte, in Paris und anderen französischen Städten die Guillotine ohne Unter­brechung in Tätigkeit blieb, genossen die drei preußischen Offiziere in ihrem Internierungsort ein ungetrübtes Glück. Hier im tiefsten Frieden erwachte auch bei dem jungen Rohr die Liebe zu der noch kindlichen Tochter seiner Wirtsleute. Unter den Zweigen einer mächtigen Robinie saß er mit der kleinen Jacqueline oftmals bis spät in die Nacht, und beide gaben sich dem unaussprechlichen Gefühl des Glücks ihrer ersten Um­armung hin. So vergingen die Tage, einer schöner als der andere, und beide genossen ihre verborgene Liebe in vollen Zügen, verbunden mit dem sehn­lichsten Wunsch, es möge niemals anders kommen.

Doch diese sorgenlose, schöne und glückliche Zeit mußte einmal zu Ende gehen, und, schneller als den Liebenden recht, wurde der für Preußen unrühmliche Sonderfrieden zu Basel mit Frankreich am 5. April 1795 geschlossen, demnach Preußen das linke Rheinufer preisgab. Es fühlte sich durch den Landerwerb im Osten bei der dritten Teilung Polens voll ent­schädigt. Mit dem Friedensabschluß waren auch die preußischen Gefan­genen frei, und der junge Rohr mußte in seine Heimat, nach Trieplatz, zurück. Noch ein letztes Mal saß er mit Jacqueline in jener lauen Maien­nacht unter der alten Robinie. Der Abschied fiel beiden schwer. Weinend übergab Jacqueline dem Scheidenden als Souvenir eine kleine, von ihr bestickte Henkelbörse, in die sie eine- Schaumünze mit ihrem Lieblings­heiligen als Talisman und ein Samenkorn legte. Ein Samenkorn der alten Robinie, unter der sie so oft Hand in Hand gesessen, geträumt und ihrer Liebe ewige Treue geschworen hatten. Vielleicht ahnten beide damals noch nicht, daß diese Trennung für immer gelten mußte. Über das Schicksal Jacquelines ist weiter nichts überliefert worden. Doch das Samenkorn ging im damaligen Trieplatzer Park auf und hatte sich im Laufe der Jahre zu einer stattlichen Robinie entwickelt.

Die Zeit aber blieb nicht stehen, sie war und ist eine andere geworden. Trieplatz hat längst seinen Gutscharakter verloren, und von den Rohrs spricht heute niemand mehr. Vergessen ist die Liebesgeschichte der kleinen Französin, und auch die alte, aus Frankreich stammende Robinie mußte schon vor Jahren ihren Platz räumen. Aber die Sämlinge von ihr haben sich nicht nur im Park, sondern besonders an Wegen behauptet und sich

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