FRANZ SCHULZ-SCHLEUSENAU
D as Ge heimnis von Perleberg
Historische Novelle
Ein unfreundlicher, naßkalter Tag, der 25. November 1809.
Nach vergeblichen Versuchen, des Himmels Grau zu durchbrechen, war die Sonne zeitig zur Ruhe gegangen. So dämmerte es bereits, als man um 2 Uhr nachmittags an die Haustür des Königlich Preußischen Kommandanten von Perleberg pochte. In jener märkischen Landschaft Prignitz, die nach dem unseligen Tilsiter Friedensdiktat aus dem Herzstück der Monarchie ein Grenzland geworden war.
Infolge der Bedeutung, zu der die stille Landstadt über Nacht gelangt war, hatte man eine militärische Kommandantur eingerichtet, die den Grenzverkehr nach dem neugegründeten Königreiche Westfalen überwachen sollte. Zum Kommandanten wurde der Leutnant v. Klitzing bestimmt, der dem Generalquartiermeisterstabe in Berlin angehört hatte. Er kannte die Prignitz, stammte er doch aus einem ihrer alteingesessenen Geschlechter. Der Besucher schien ungeduldig. Sogleich nach dem Pochen schrillte der Klingelzug, als läute es zum jüngsten Gericht.
Unwirsch fuhr der Offizier aus dem Lehnstuhl auf. Er befand sich sowieso nicht in rosigster Laune. Seine Perleberger Tätigkeit behagte ihm nicht. Vor dem verhängnisvollen Feldzuge von 1806 war er, in der Vollkraft seiner dreißig Jahre und Junggeselle, der Adjutant des lebenslustigen, feinsinnigen Prinzen Louis Ferdinand gewesen. Ebenso wie sein Chef liebte er Frohsinn, Geselligkeit und Musik. An Hofluft und hauptstädtisches Getriebe gewöhnt, betrachtete er die Versetzung nach dem weltverlorenen Winkel seiner Heimat als eine geisttötende Verbannung.
Augenblicklich aber war seine Stimmung vollkommen auf den Hund geraten. Ein Stockschnupfen hatte sie gründlich verdorben. Und, während heute abend seine Vettern und Basen vom Landadel der Umgegend im „Deutschen Cafehause“ 1 ) auf dem Balle sich verlustierten, hatte der einstige Prinzessinnentänzer wie ein simpler Spießbürger einen Wollschal um den Hals gewickelt und war dabei, mit einem steifen Grog nach dem andern seine Heiserkeit zu bekämpfen.
i) Gastwirtschaft von Ernst, heute Großer Markt 17. Nach dem großen Brande von 1807 war die Gastwirtschaft neu aufgebaut, das große Zimmer oben neben der Apotheke gelegen, war der Ballsaal.
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