Heft 
(1958) 1
Seite
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ERNST STADTKUS , REHFELD

Spuk um Mitternacht

Herbstnacht war es. Dunkle Wolken trieb der Wind am Himmel dahin. Dann und wann schaute der Mond durch die Wolken, als wolle er sich überzeugen, daß da unten auf der Erde alles in Ordnung sei. Zwölf Uhr schlug es vom alten Kirchturm in Drewen. Zitternd verhallten die Glocken­schläge in der Dunkelheit. Das ganze Dorf schlief in dieser unfreundlichen Herbstnacht. Auch nicht ein einziges verspätetes Liebespaar drückte sich irgendwo herum. Nur der alte Nachtwächter stand unter den Eichen auf dem Dorfplatz geradeüber der Kirche und zählte mechanisch die Glocken­schläge mit.Noch drei Stunden, brummte er vor sich hin und wollte gerade weitergehen, da stutzte er. Ein eigenartiges Geräusch drang vom Friedhof zu ihm her. Es klang wie ein Scharren und Schürfen. Vater Sie- wers war nicht gerade ängstlich, aber er konnte es doch nicht hindern, daß ihm ein leises Gruseln über den Rücken lief. Doch eingedenk seiner amtlichen Pflichten trat er zögernd etwas vor bis nahe an die Friedhofs­mauer. Für einen Augenblick huschte der Mondschein über Kirche und Friedhof dahin. Es genügte, um Vater Siewers ein grauenhaftes Bild sicht­bar zu machen. Deutlich sah er, wie ein Grabkreuz hin und her schwankte und mit dumpfem Ton zu Boden fiel. Aus dem Grab aber schob sich mit gräßlichem Stöhnen ein dunkler Schatten. Der Nachtwächter starrte mit weit aufgerissenen Augen auf das Ungeheuerliche. Doch da schob sich eine dunkle Wolke vor den Mond, und alles lag wieder in Finsternis. Aber jetzt begann es überall zwischen den Gräbern zu scharren, zu rascheln und zu stöhnen.Mein Gott, murmelte der Nachtwächter vor sich hin,ist denn etwa der jüngste Tag angebrochen, und die Toten erheben sich aus den Gräbern? Das muß ich meinem Herrn Pfarrer melden, war sein ein­ziger Gedanke. Er lief, so schnell es die Dunkelheit erlaubte, zum Pfarr­haus.

Mit seiner derben Pike klopfte er ans Fenster. Dunkelheit und Aufregung ließen die Schläge wohl etwas derber ausfallen, als beabsichtigt war, und klirrend ging die Fensterscheibe zu Bruch.Was ist los? Wer ist da?, ließ sich die verschlafene Stimme des Pfarrers vernehmen.Um Gottes Wil­len, Herr Pastor, kommen Sie, der Jüngste Tag ist angebrochen, die Toten stehen auf!Aber, Siewers, Sie sind doch wieder betrunken! grollte der Pfarrer, indem er das Fenster öffnete und schlaftrunken her­ausschaute.Nein, nein, Herr Pastor, ich bin ganz nüchtern, aber auf unserem Friedhofe, da gehen die Geister um! Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie sie sich aus den Gräbern erheben, sagte mit flüsternder, zitternder Stimme der Nachtwächter. Er bat und jammerte, bis endlich

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