Heft 
(1958) 6
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zu erzwingen und ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Erweiterung der Produktion, vermehrte Anwendung von Maschinen, dadurch verstärkte Ausnutzung der Arbeitskraft des einzelnen, erhöhte Profite ohne ent­sprechende Lohnerhöhung, Gründung neuer Betriebe, das ist immer das Ziel der Profitjäger. Durch das Steigen des eigenen Reichtums möchten sie den eigenen Arbeitern, die ja nicht blind sind, bessere Tage vorgaukeln, die in Zukunft auch ihnen freundlich winken. Aufseher und Antreiber, die sich zu Helfern dieses Betruges hergeben, in manchen Fällen zunächst so­gar, ohne die Tragweite zu erkennen, werden besser bezahlt.

Vor allem boten in Wittenberge die Beschäftigung in der Königlichen Haupteisenbahnwerkstätte und der Dienst bei der Eisenbahn willkom­mene Gelegenheiten, in den Arbeitern die Auffassung zu wecken und zu nähren, daß spezialisiertem Wissen und Können und differenzierter Arbeit fortan allein ihr Streben zu dienen habe. Es ging nicht mehr allen, die vorher die alten sozialistischen Prinzipien, Arbeitszeitverkürzung, Lohn­erhöhung, Koalitionsrecht, Verbesserung der sozialen Zustände, verfochten hatten, allein darum, diese Forderungen ihrer Verwirklichung möglichst schnell näher zu bringen. Gar viele unterlagen den Versuchungen, der Verbesserung ihrer eigenen wirtschaftlichen Lage den Kampf um die Klasseninteressen zu opfern. Zugesicherter Arbeitsplatz und bewilligte Pensionsansprüche bei den als Beamte aus der Arbeiterklasse äußerlich Herausgelösten ließen sie vergessen, daß Versprechungen, Verträge und Garantien kein fester Boden mehr sein können, wenn erst die Garanten stürzen. Verbittert und verständnislos standen einander auch in Witten­berge in vielen Familien Vater und Sohn, Bruder und Schwester gegen­über. Freundschaften und alte Kameradschaft zerschellen, wenn der Ar­beiter das Gesetz der geschichtlichen Entwicklung der Gesellschaft zum Sozialismus erkennt und danach handelt, der Beamte aber, wie es sein Staat fordert, königstreu der Erhaltung einer alten Gesellschaftsform dient.

Im Eisenbahnerschützenverein oder im Kriegerverein distanzierten sich viele offensichtlich von der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften, Aus anfangs vielleicht lediglich inspirierter Berechnung entwickelte sich bald Stolz auf die priviligierte Stellung.

Schützenuniformen, geschultertes Gewehr, Zylinder, Gehrock und Schärpe wurden vom herrschenden Bürgertum seinem Troß gern bei festlichen Gelegenheiten als Attribute bürgerlicher Würde gewährt, um so offensicht­lich wie nur möglich zu trennen, was vereint dem Großbürgertum gefähr­lich hätte werden müssen.

Noch heute zeugen alte Grabsteine davon, wie es gelang, Standesdünkel zu züchten, um, wenn nicht anders, dann durch Pietät auch noch die Nach­kommen an Krone und herrschendes Kapital zu binden. Die erschütterte Nachwelt erfährt, wo der Königliche Haupteisenbahnwerkstättenhelfer XY

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