Heft 
(1880) 39
Seite
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Theodor Fontane in Berlin.

Und warum nicht? Weil Du noch nicht an der Reihe warst. Ja, Lanni, er geht stolz an Dir vorüber".

Ich würd' es mir auch verbitten".

Verbitten! Was heißt verbitten? Ich verstehe Dich nicht. Oder glaubst Du vielleicht, daß gewesene Generalconsulstöchter in vestalisch-priester- licher Unnahbarkeit durch's Leben schreiten oder sacrosauct sind wie Bot­schafter und Ambassaden! Ich will Dir ein Sprüchwort sagen, das Ihr in Genf nicht haben werdet ..."

Und das wäre?"

Sieht doch die Katz den Kaiser an. Und ich sage Dir, Lanni, was man ansehen darf, das darf man auch beschreiben. Oder verlangst Du, daß ich ihn fordern sollte? Pistolen und zehn Schritt Barriere".

Melanie lachte.Nein Ezel, ich stürbe wenn Du mir todtgeschossen würdest".

Höre, dies solltest Du Dir doch überlegen. Das Beste, was einer jungen Frau wie Dir passiren kann, ist doch immer die Wittwenschaft, oder ls VsuvaAs" wie meine Pariser Wirthin mir einmal über das andere zu versichern Pflegte. Beiläufig, meine beste Reise-Reminiscenz. Und dabei hättest Du sie sehen sollen, die kleine, corpulente, schwarze Madame ..."

Ich sehne mich nicht danach. Ich will lieber wissen, wie alt sie war".

Fünfzig. Die Liebe fällt nicht immer aus ein Rosenblatt ..."

Nun, da mag es Dir und ihr verziehen sein".

Und dabei stand Melanie von ihrem hochlehnigen Stuhl aus, legte den Cannevas bei Seite, an dem sie gestickt hatte, und trat an das große Mittelfenster.

Unten bewegte sich das bunte Treiben eines Markttages, dem die junge Frau gern zuzusehen pflegte. Was sie daran am meisten fesselte, waren die Gegensätze. Dicht an der Kirchenthür, an einem kleinen, niedrigen Tische, saß ein Mütterchen, das ausgelassenen Honig in großen und kleinen Gläsern verkaufte, die mit ausgezacktem Papier und einem rothen Wollsaden zuge­bunden waren. Ihr zunächst erhob sich eine Wild Händlerbude, deren sechs aufgehängte Hasen mit traurigen Gesichtern zu Melanie hinübersaheu, während in Front der Bude, das erfrorene Gesicht in eine Caputze gesteckt, ein kleines Mädchen aus und ab lief und ihre Schäfchen, wie zur Weihnachtszeit an die Vorübergehenden seilbot. Ueber dem Ganzen aber lag ein grauer Himmel, und ein paar Flocken federten und tanzten, und wenn sie niederfielen, wurden sie vom Luftzuge neu gefaßt und wieder in die Höhe gewirbelt.

Etwas wie Sehnsucht überkam Melanie beim Anblick dieses Flocken­tanzes, als müsse es schön sein, so zu steigen und zu fallen und dann wieder zu steigen, und sie wollte sich eben vom Fenster her ins Zimmer zurück­wenden, um, in leichtem Scherze, ganz wie sie's liebte, sich und ihre Sehn­suchtsanwandlung zu persifliren, als sie, von der Brüderstraße her, eines jener langen und auf niedrigen Rädern gehenden Gefährte Vorfahren sah, die