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Theodor Fontane in Berlin.
Drinnen waren ein paar absteigende Stufen, weil der Flur um ein Erhebliches niedriger lag, als die Straße draußen, weshalb denn auch den Eintretenden eine dumpfe Kellerlust entgegenkam, von der es schwer zu sagen war, ob sie durch ihren biersäuerlichen Gehalt mehr gewann oder verlor. In der Mitte des Flurs sah man nach rechts hin eine Nische mit Herd und Rauchfang, einer kleinen Schiffsküche nicht unähnlich, während von links her ein Schanktisch um mehrere Fuß vorsprang. Dahinter ein sogenanntes „Schapp", in dem oben Teller und Tassen und unten allerhand ausgebuchtete Likörflaschen standen. Zwischen Tisch und Schapp aber thronte die Herrin dieser Dominien, eine große, starke Blondine, von Mitte Dreißig,
die man ohne Weiteres als eine Schönheit hätte hiunehmen müssen, wenn
nicht ihre Augen gewesen wären. Und doch waren es eigentlich schöne Augen, an denen in Wahrheit nichts Anderes auszusetzen war, als daß sie sich daran gewöhnt hatten, alle Männer in zwei Klassen zu theilen, in solche, denen sie zuzwinkerten: „wir treffen uns noch" und in solche, denen sie spöttisch nachriesen: „wir kennen Euch besser". Alles aber, was in diese
zwei Klassen nicht hineinpaßte, war nur Gegenstand sür Mitleid und Achselzucken.
Es muß leider gesagt-werden, daß auch Van der Straaten von diesem Achselzucken betroffen wurde. Nicht seiner Jahre halber, im Gegentheil sie wußte Jahre zu schätzen, nein, einzig und allein weil er von alter Zeit
her die Schwäche hatte, sich a tont xrix populär machen zu wollen. Und das
war der Blondine das Verächtlichste von allem.
Am Ausgange des Flurs zeigte sich eine noch niedrigere Hofthür und dahinter kam ein Garten, drin, um kümmerliche Bäume herum, ein Dutzend grün gestrichene Tische mit schrägangelehnten Stühlen von derselben Farbe standen. Rechts lief eine Kegelbahn, deren vorderstes unsichtbares Stück sehr wahrscheinlich bis an die Straße reichte. Van der Straaten wies ironisch-fromm auf all diese Herrlichkeiten hin, verbreitete sich über die Vorzüge anspruchslos gebliebener Nationalitäten und stieg dann eine kleine Schrägung nieder, die, von dem Sommergarten aus, auf einen großen, am Spree-Ufer sich hinziehenden und nach Art eines Treibhauses angelegten Glas-Balkon führte. An einer der offenen Stellen desselben rückte die Gesellschaft zwei, drei Tische zusammen und hatte nun einen schmalen, zerbrechlichen Wassersteg und links davon ein festgeankertes, aber schon dein Nachbarhause zugehöriges Floß vor sich, an das die kleinen Spreedampfer anzulegen pflegten.
Rubehn erhielt ohne Weiteres den besten Platz angewiesen, um als Fremder den Blick auf die Stadt frei zu haben, die, flußabwärts, im roth- und golddurchglühten Dunst eines heißen Sommertages dalag. Elimar und Gabler aber waren aus den Wassersteg hinausgetreten. Alles freute sich des Bildes, und Van der Straaten sagte: „Sieh, Melanie. Die Schloßtüppel Sieht sie nicht aus wie Santa Maria Saluta?"
„Saluts" verbesserte Melanie, mit Accentuirung der letzten Silbe.