Heft 
(1897) 12
Seite
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Ueber Land und Weer.

Generalstabswerken als in den Mitteilungen von hervor­ragenden, in Militär-diplomatische»! Dienst verwendeten Persönlichkeiten eine Fülle von Thatsachen vor, so un­zweifelhaft und belehrend, daß ihre Ueberschau der Bildung eines endgültigen Urteils über den Wert oder Unwert militärischer Spionage im Frieden die festesten Stützpunkte darbietet.

Eine solche Ueberschau behalten wir uns vor den Lesern vielleicht nach Abschluß des neuen Zola-Prozesses, durch die Ergebnisse desselben erläutert, zu vermitteln. Für heute beschränken wir uns darauf, die Anschauungen zu skizzieren, die sich in den leitenden Generalstäben der großen europäischen Armeen über die Affaire Dreyfus samt allen ihren Folgen allmählich herausgebildet haben. Die Richtigkeit dieser Anschauungen können wir selbstverständlich nicht ver­bürgen ; denn sie sind ja nichts andres als Krystallisations- produkte von kurzen Bemerkungen, vielleicht kleinen In­diskretionen einzelner oder minder Wissender: ein On clit also, aber ein solches, das auf festen Grundlagen fußt.

Man erzählt: Einige Zeit vor dem Zustandekommen der franko-russischen Allianz, als aber schon bemerkenswerte Intimität in den diplomatischen Beziehungen der beiden Staaten und ihrer Vertreter vorherrschte, verlangte der russische Militärbevollmächtigte in Paris vom Kapitän Dreyfus eine übersichtliche Zusammenstellung der gesamten Streitkräfte Frankreichs. Dreyfus machte dem Generalstabs- chef von diesem Begehren Mitteilung und empfing die Weisung, das Tableau ohne weiteres aufzustellen, aber vorher seinem General vorzulegen. Die Arbeit des Kapi­täns fand keinen Beifall beim Generalstabschef, der eine Umarbeitung mit dem Ansätze höherer Etatszisfern forderte, deren Begründung in Maßnahinen lag, die eben erst pro­jektiert waren. Hiergegen erhob Dreyfus die Vorstellung, daß er dem russischen Kameraden, dem ja auch ein Gegen­dienst geleistet werden sollte, unmöglich eine Ausstellung bieten könne, die dem augenblicklichen Stande der Dinge nicht entsprach. Der Generalstabschef ließ die Arbeit des Kapitäns Dreyfus vernichten und beauftragte den damals alsComte Esterhazy" geltenden Kapitän Walsin mit der Verfassung eines den französischen Interessen besser dienen­den Tableaus. Dieses wurde an den russischen Offizier geschickt, ob von Dreyfus oder nicht, ist zweifel­haft. Verbürgt aber soll sein, daß Dreyfus glaubte, er sei es sich selbst schuldig, bei dem russischen Militärattache die Meinung nicht aufkommen zu lassen, daß er es gewesen sei, der die unrichtigen Datei: ausgestellt habe, und daß Dreyfus, nur dieses eine Interesse verfolgend und jedes Staatsinteresse außer acht lassend, dem russischen Wachs auch die richtigen Ziffern übersendete.

Diese Thal des Kapitäns Dreyfus erfuhr der General­stabschef aber erst und zwar durch Esterhazy, als das in der Portierloge der deutschen Gesandtschaft unter­schlageneBordereau" die große Spionage-Affaire auf­wirbelte, die zum Prozeß gegen Dreyfus und zu dessen Verurteilung führte. Es ist erklärlich, daß die französischen Autoritäten, die so viel Gewicht auf die möglichst hohe Wertschätzung ihrer Streitkräste von russischer Seite legten, jene Handlung des Dreyfus als ein schweres Verbrechen auffaßten. Gewiß liegt in derselben eine positive, aber auch die einzige Schuld desjenigen, der dann als Blitz­ableiter für Esterhazy dienen mußte. Wie dieser letztere, der sich mit seinem zweifelhaften aristokratischen Namen auch in diplomatische Kreise lancierte, die Rolle des Doppel­spions nach den Grundsätzen Napoleons I. über­nahm und durchführte, dies ließ schon der erste Prozeß Zola erkennen; der zweite wird wohl noch mehr Licht darüber verbreiten.

Zur Statistik öes Nrauenstuöiums.

Von

Wchard Wutckow.

MMor etwa fünfundzwanzig Jahren stellte die würdige sW, Frau Fanny Lewald bezüglich der Frauenbildung folgende Leitsätze auf:

1. Es muß jedem Menschen gleichviel ob männ­lichen oder weiblichen Geschlechts in einem Kulturstaate freistehen, zu erlernen, was er will.

2. Die von Staat oder Gemeinde begründeten Bildungs­anstalten dürfen niemand verschlossen werden, der die Be­fähigung nachweist, daß er sie mit Erfolg benutzen kann.

3. Jeder, der die vom Staate für das Studium der Kunst und Wissenschaften vorgeschriebenen Kurse durch­gemacht hat, darf gegen die gesetzmäßige Vergütung den Anspruch erheben, darauf geprüft zu werden, ob er den gestellten Anforderungen genügt.

4. Jeder unbescholtene Mensch muß das, was er nach­gewiesenermaßen gelernt hat, zu seinem und seiner Mit­menschen Nutzen ansüben können, wenn man diese Dienste in Anspruch nimmt.

Die Fassung und der Inhalt dieser Sätze sind so klar und einleuchtend, daß man glauben müßte, sie hätten sich im Laufe der langen Zeit längst in Thatsachen umgesetzt, und es gäbe niemand mehr, der den Anspruch der Frauen auf eine vertieftere Geistesbildung bekämpft oder gar dem­selben praktische Schwierigkeiten entgegenstellt. Leider aber liegen die Sachen ganz anders. Recht bezeichnend für diese Zeit des Ringens der Frauen nach erweitertem geistigem Besitz ist die folgende kleine Geschichte. Herr Geheimrat Professor Dv. Brunner erachtete es bei seinem offiziellen Scheiden von dein Rektorat der Berliner Universität am 15. Oktober vorigen Jahres für zweckmäßig, den studieren­den Damen zum Abschied noch einen kleinen Hieb zu ver­setzen. Er erzählte unter derHeiterkeit" der Versammlung, daß bei den üblichen Revisionen (!) unter der Hörerschaft der Vorlesungen häufig Damen betroffen würden, die keine Erlaubnis zum Kollegienbesuch aufweisen könnten! Daß der Herr Professor ein enragierter Feind des Frauenstudiums ist, war ja längst bekannt, daß er aber auch recht kleinlich sein kann, erfuhr man erst in jener Festversammlung, die sich zur Heiterkeit anregen ließ, als der höchste Universitüts- beamte seine Abneigung gegen das Frauenstudium in ironi­scher Weise zu erkennen gab.

Man darf ja zugeben, daß sich in der letzten Zeit manches auf den deutschen Universitäten für die studieren­den Frauen günstiger gestaltet hat, daß Bonn , Breslau iind Göttingen wesentliche Erleichterungen haben eintretcn lassen, und daß ganz besonders Halle sich entgegenkommend zeigt. Auch Leipzig darf in freundlichem Sinne genannt werden, da die Damen zu den Vorlesungen fast aller Dozenten zugelassen werden. Dagegen muß neuerdings eine ministerielle Erlaubnis zum Besuche der Vorlesungen eingeholt werden. In Halle sind sämtliche Laboratorien, Präpariersäle, Seminarien und Vorlesungen den Studen­tinnen, welche die Maturitätsprüfung bestanden haben, ohne Einschränkung geöffnet, den ungenügend Vorgebildeten aber werden bei der Aufnahme mit Recht Schwierigkeiten gemacht. Aehnlich verfährt man in Göttingen, während in Berlin und Breslau zum Beispiel der Zulassung der Frauen im einzelnen keine allzu erheblichen Schwierigkeiten mehr bereitet werden. Mit solcher Konnivenz ist aber den tüchtig und gründlich Vorbereiteten keineswegs gedient; sie haben ihr Abiturientenzeugnis in der Tasche und wünschen nun auch dafür von allen Erschwernissen befreit zu sein, iind vor allein: sie wünschen regelrecht immatrikuliert zu werden! Dieser Punkt verlangt dringend Abhilfe, denn