250
Melier Land und Meer.
dem 22. November vorigen Jahres, nennt sich „Verein der studierenden Frauen Berlins" und hat gegenwärtig 60 Mitglieder. Der Verein hat nach den Satzungen den Zweck: 1. Förderung der Interessen der studierenden Frauen und Pflege des Zusammengehörigkeitsgefühls. 2. Förderung und Erweiterung der Allgemeinbildung durch Referate, Diskussionen über wissenschaftliche Themata und Zeitfragen. 3. Erteilung von Auskunft an studierende Frauen. 4. Pflege kollegialer Geselligkeit. 5. Gründung eines Stipendienfonds für die aktiven bedürftigen Mitglieder des Vereins.
Die Zahl von fast hundert deutschen Damen, die an der Berliner Universität gegenwärtig Vorlesungen hören, darf als keine hohe angesehen werden. Man muß bedenken, daß die nach Vertiefung ihrer Geistesbildung strebenden Damen den geistigen Mittelpunkt Deutschlands nicht runder Vorlesungen halber aufsuchen, sondern daß sie auch die reichhaltigen Schätze der Kunst und Wissenschaft und die sonstigen mannigfachen geistigen Anregungen genießen und benutzen wollen. Eine Gefahr, daß die Damen in so großer Zahl die Universitäten aufsuchen könnten, daß die bestehenden Einrichtungen nicht ausreichten und eine „vollkommene Umwälzung" eintreten könnte, wie Professor Virchow in der Sitzung des preußischen Abgeordnetenhauses vom 11. März erklärte, eine solche Gefahr liegt nach unsrer Ueberzengung nicht vor, weil unsre ganze bisherige Erziehung nicht auf den Ernst und die Selbstverleugnung vorbereitet hat, die das Studium von den Frauen verlangen muß. Daß es unter den Damen „sehr ausgezeichnete Mitglieder des Menschengeschlechts" giebt, die sich zum Studium eignen und „wesentlichen Gewinn für die eigentlichen akademischen Wissenschaften erzielen könnten", gab Virchow trotz seiner Einwendungen rückhaltlos zu.
Wenn man nun die Damensrequenz an den andern deutschen Universitäten betrachtet, so wird die Gefahr einer Ueberflutung derselben durch das weibliche Geschlecht einstweilen in recht weite Fernen gerückt. Nach der bedeutend scheinenden Berliner Ziffer von 162 Hospitantinneu kommen nämlich Heidelberg und Breslau mit 30, Freiburg i. B. mit 28, Göttingen und Greifswald mit je 20, Kiel mit 22, Königsberg mit 13, Bonn und Leipzig mit je 12, Halle mit 8, Rostock mit 4, ebenso Erlangen mit 4 Hospitantinneu, die sämtlich bei Herrn Professor Varn- hagen Englisch und Französisch hören, endlich Tübingen und Marburg mit je zwei Hörerinnen. Was München betrifft, so schreibt mir das Sekretariat, daß „Frauei: nur ganz ausnahmsweise, je durch besondere Ministerialgenehmi- gung die Erlaubnis zun: Besuch allgemeiner Vorlesungen erhalten" ; über diese führt die Universität keii: Verzeichnis. Augenblicklich sind „zwei oder drei" zugelassen. Ebenso liegt die Sache in Würzburg bezüglich der Genehmigung, man schreibt mir aber, daß dort „zurzeit" keine Dame hospitiert. Ich nehme an, daß dort bis jetzt überhaupt keine Dame Vorlesungen besucht hat. Die Universitäten Jena, Gießen, Straßburg lassen überhaupt keine Hospi- tantinnen zu, was mir besonders bei der reichsländischen Universität Straßburg sehr verwunderlich erscheint. Sollte die Zulassung von Frauen zu der so stattlich dotierten Kaiser Wilhelms-Universität nicht auch als ein Versöhnungsmittel, als eine „moralische Eroberung" anzusehen sein?
Auf die Erleichterungen, die an verschiedenen Universitäten bereits eingelreteu sind, habe ich oben namentlich hingewiesen; von Göttingen, Halle, Heidelberg und Leipzig ist noch zu bemerken, daß die Promotion zum äoetor xbilosoplnas auch ohne Reifezeugnis und regelrechte Immatrikulation bei sonstiger Qualifikation auf Beschluß der Fakultät gewährt werden kann. Mir ist nicht bekannt, ob diese Konzession bereits in die Praxis übergegangen ist.
- Wir werden uns nun denjenigen Veranstaltungen zuzuwenden haben, die durch gymnasiale Kurse in systemati
scher Weise auf den Universitätsbesuch vorbereiten. Sie verdanken ihre Entstehung ganz direkt der Frauenbewegung, die es sich seit drei Jahrzehnten zur Ausgabe gemacht hat, das weibliche Geschlecht auf eine höhere Stufe der Entwicklung zu heben und ihm einen erweiterten Wirkungskreis zu sichern. Naturgemäß mußte besonders der Wunsch hervortreten, den Frauen zu den wissenschaftlichen Berufsarten Zutritt zu verschaffen, sie also vor allem als Frauenärztinnen und als akademisch gebildete Lehrerinnen thätig zu sehen. Da die Ausbildung hierzu nur auf Universitäten erworben werden kann, der Staat aber die Zulassung zum akademischen Studium an den Nachweis gymnasialer Vorbildung knüpft, so mußte es zunächst das Bestreben der Frauen sein, den Beweis für die Fähigkeit zu erbringe,:, sich diese Vorbildung auch thatsächlich anzueignen.
Solcher gymnasialen Vorbildungsstätten giebt es in Deutschland drei: in Karlsruhe, Berlin und Leipzig. Eine ähnliche Veranstaltung in Bremen kam wegen Mangels au Beteiligung nicht zu stände; geplant werden solche in Breslau, München, Köln, Königsberg. Für uns kommen also diese Städte einstweilen nicht in Betracht.
Ehe wir uns zu den genannten Mädchengymnasien wenden, werden wir noch einen Blick auf das unter der Leitung des Fräulein Alix von Cotta stehende Viktoria- Lycenn: in Berlin werfen müssen, das freilich nur allgemeine Bilduugsziele verfolgt und die Vorbereitung auf das Universitätsstudium nicht ins Auge faßt, aber sich durch Einrichtung von Vortragskursen und Unterrichtsstunden ein sehr bedeutendes Verdienst um die Ausbildung des weiblichen Geschlechts, ganz besonders um die Fortbildung geprüfter Lehrerinnen, erworben hatte. Diese Fortbildungskurse für geprüfte Lehrerinnen bestanden schon seit dem 23. Mai 1888 und wurden 1892 von der preußischen Regierung formell anerkannt und genehmigt. In einem Ministerialerlaß vom 19. Oktober 1892 wurde als das Ziel derselben bezeichnet: „Der formalen Befähigung zum Unterrichten in sämtlichen Klassen der Volks-, Mittel- und höheren Mädchenschulen durch einen dreijährigen Studiengang diejenige wissenschaftliche Methode und stoffliche Beherrschung des Gegenstandes hinzuzufügen, die eine erhöhte Lehrbefähigung darzustellen geeignet ist."
Ostern 1893 entstanden sodann auch in Göttingen wissenschaftliche Fortbildungskurse mit gleichem Ziele wie die Berliner; sie wurden ebenfalls von der preußischen Regierung anerkannt durch Entsendung eines Kommissars zu der nach zweijährigem Studium abzulegenden Prüfung.
Als nun durch Verfügung vom 31. Mai 1894 ein Oberlehrerinnenexamen für Preußen geschaffen worden war, handelte es sich für diese Kurse nun darum, sich den Prüfungsvorschriften anzupassen, um so mehr, als der preußische Kultusminister in einen: Reskript vom 18. Juli 1894 die Berliner und Göttinger Fortbildungskurse als geeignete Anstalten zur Ausbildung von Oberlehrerinnen bezeichnet hatte. Wir bemerken hier nur ganz kurz, daß in dieser Oberlehrerinnenprüfung die Bewerberinnen den Nachweis zu führen haben, daß sie ii: zweien von ihnen selbst zu wählenden Unterrichtsgegenständen „umsichtig und gründlich gearbeitet und dasjenige wissenschaftliche Verständnis erworben haben, das sie befähigt, den Unterricht auf der Oberstufe der höheren Mädchenschule mit Erfolg zu erteilen". Auf Grund der ii: beiden Gegenständen bestandenen Prüfung erhält die Bewerberin das Zeugnis, daß sie zur Ueber- nahine einer Stelle als Oberlehrerin und nach Ablegung der (praktischen) Schulvorsteherinnenprüfung für die Leitung einer höheren Mädchenschule befähigt ist. Vor dieser Prüfung muß die Lehrerin fünf Jahre praktisch thätig gewesen sein. Es leuchtet ein, daß die Organisation der Berliner wie der Göttinger Kurse den Aspirantinnen zu dieser Ober- lehrerinneuprüfnng in sehr geeigneter Weise entgegenkam.