Zur Statistik des Irauenstudiums.
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In Bezug auf das praktische Ziel der Kurse wurde keine Aenderung geboten; sie dienten nach wie vor dem Zwecke, seminaristisch gebildete Lehrerinnen durch wissenschaftliches Studium in den Stand zu setzen, den Unterricht in den Oberklassen der höheren Mädchenschulen zu übernehmen, wo bis dahin ausschließlich der akademisch gebildete Lehrer gewaltet hatte. Dagegen mußte am Viktoria-Lyceum, das einen dreijährigen Kursus gehabt hatte, in Beziehung auf den Lehrplan und die Verteilung des Stoffes eine Umgestaltung vorgenommen werden. Um solchen Lehrerinnen, die nicht im stände sind, längere Jahre auf Broterwerb zu verzichteil, doch die Möglichkeit einer Vorbildung für das Oberlehrerinnenexamen zu ermöglichen, wurde die Studienzeit auf zwei Jahre festgesetzt, eine Maßregel, die eine gründliche wissenschaftliche Durchbildung naturgemäß erschweren mußte, durch die praktischen Verhältnisse aber geboten erschien.
Die Unterrichtsfächer am Viktoria-Lyceum sind: Religion, Geschichte, Deutsch, Französisch, Englisch. Außer diesen Fächern sind aber für die Hospitantinnen noch besondere Gegenstände (Kunstgeschichte, Botanik, Physik, Philosophie, Pädagogik, Aesthetik) eingerichtet, die für die Aspirantinnen auf das Oberlehrerinnenexamen nicht in Betracht kommen. Es sei noch bemerkt, daß die Kurse für die Lehrerinnen im Viktoria-Lyceum in die Nachmittagsstunden von 4 bis 8 Uhr, die Hospitautenkurse in die Vormittagsstunden von 11 bis 1 Uhr fallen. Der gesamte Unterricht liegt in den Händen vorzüglicher Lehrkräfte. Die Direktorin des Viktoria-Lycenms, Fräulein A. von Cotta, wohnt in Berlin IV., Potsdamerstraße 39, Gartenhaus.
Alan darf sagen, daß diese Anstalt sich bedeutende Verdienste um die höhere geistige Bildung der Frauen erworben hat.
Wir kommen nun zu dein Mädchengymnasium in Karlsruhe , den Gymnasialkursen für Frauen in Berlin und Leipzig. Das Karlsruher Müdchengymnasium wurde zu Michaelis 1893 von dem Verein „Frauenbildungsreform" begründet. Dieser Verein, dessen Sitz früher in Weimar war, jetzt aber nach Hannover verlegt worden ist, hat sich seit seinem Bestehen die Errichtung von Mädchengymnasien zur Hauptaufgabe gestellt und unterstützt auch jetzt noch die Karlsruher Schule. Sie wurde am 16. September 1893 eröffnet und zum Leiter der Professor I)r. Haag aus Bern berufen; seit Ostern 1894 steht sie unter der Leitung des Professors vr. Friedrich Müller vom Realgymnasium in Karlsruhe. Die Anstalt will den Mädchen die Bildung des humanistischen Gymnasiums geben und nimmt Schülerinnen auf, welche die untersten sechs Klassen einer voll ausgestalteten zehnklassigen höheren Mädchenschule durchgemacht, also das Alter von zwölf Jahren erreicht haben. Mit Ausnahme des Latein würde also die unterste Klasse des Mädchengymnasiums etwa der Untertertia entsprechen. Diese Bezeichnung führt die Klasse indessen nicht, man sieht sie vielmehr als Uebergangsklasse an und fördert die Schülerinnen derselben thunlichst so weit, daß sie von Obertertia ab in allen Lehrfächern mit Ausnahme der alten Sprachen dasselbe Pensum leisten wie die Gymnasiasten. In der Uebergangsklasse ist naturgemäß der häusliche Fleiß etwas angestrengter als auf den Gymnasien, was manchen Austritt zur Folge hatte; dafür ist aber die Zahl der Lehrstunden geringer als aus Untertertia. Im Sommer wurden 27, im Winter 25 Stunden wöchentlich erteilt. Der Lehrplan der Klassen Obertertia bis Oberprima ist derselbe wie aus den Gymnasien, mit Ausnahme des Lateinischen und Griechischen, in denen die Mädchen nur das Pensum von Obersekunda der Gymnasien erreichen. Der griechische Unterricht beginnt erst auf Obertertia. Von den 22 Schülerinnen, die im Jahre 1893 die erste Unterklasse bildeten (im Alter von 12 bis über 30 Jahre) sind
jetzt (März 1898) noch 4 vorhanden, die im Sommer 1899 fürs Maturum reif sein sollen. Die Uebergangsklasse ist seit 1896 wegen finanzieller Verhältnisse in Bedrängnis geraten; die Frequenz der andern Klassen beträgt im Augenblick: Obertertia 4, Untersekunda 5, Obersekunda 2, Unterprima 4, ist also eine recht schwache. Der Prozeß des erwünschten Ueberganges der Schule an die Stadt ist im Gange, aber noch keineswegs beendet. Jedenfalls wird die Schule künftig dem Verhältnis zu einem Verein entzogen sein, und dieser wird fortan nur einen Zuschuß von jährlich 5000 Mark an die Stadt übernehmen. Mit dieser Uebernahme der Schule auf die Stadt wird jedenfalls eine gründliche Reorganisation verbunden sein, und es wäre unsers Erachtens sehr zu wünschen, daß der Eintritt alsdann erst mit der absolvierten höheren Mädchenschule, das heißt nach dem vollendeten sechzehnten Lebensjahre, stattzufinden hätte. Denn die Wahl des Berufes darf nur in ein Lebensalter fallen, in dem das Mädchen bereits die nötige Reife für einen solchen ernsten Entschluß hat. Der Eintritt ins Gymnasium muß aus eignem innerem Antriebe erfolgen und darf kein von den Eltern veranlaßter Schritt sein.
Die Berliner Gymnasialkurse für Frauen stehen unter der Leitung des Fräulein Helene Lange, der bekannten klugen und thatkräftigen Führerin der Frauenbewegung. Die Kurse wurden am 10. Oktober 1889 im Beisein der Kaiserin Friedrich unter dem Namen „Realkurse für Frauen" eröffnet, und die Leiterin legte bei dieser Gelegenheit dar, daß dieselben den Zweck verfolgen, „die sprachlich-ästhetische Bildung, welche die höhere Mädchenschule vermittelt, zu vertiefen und zu erweitern, den Frauen eine Erweiterung ihres Gesichtskreises zu geben und ihnen durch eine Realschulbildung die höheren gewerblichen und wissenschaftlichen Berufsarten zu erschließen" Die Unterrichtsgegenstände waren: Mathematik, Physik, Chemie, Gruudzüge der Wirt- schaftslehre, Deutsch, Französisch, Englisch. Diese Kurse sind nach vier Jahren erfolgreichen Bestehens mit den am 12. Oktober 1893 erössneten Berliner Gymnasialkursen verschmolzen worden und haben insofern ihren ursprünglichen Charakter verloren, als die jetzigen Gymnasialkurse programmmäßig und thatsächlich die zur Maturitätsprüfung notwendige Vorbildung geben. Die Mädchen werden ebenso behandelt wie die Extraner der Gymnasien und legen an einem von der Regierung zu bestimmenden Gymnasium die Reifeprüfung ab. Man darf mit Fug annehmen, daß ihnen dabei nichts geschenkt wird. Zu Ostern 1896 (8. März) legte die stattliche Zahl von sechs Abiturientinnen, sämtlich Schülerinnen der Gymnasialkurse, am Königlichen Luisen- Gymnasium vor der Prüfungskommission unter Vorsitz des Königlichen Provinzialschulrats Pilger die Prüfung mit gutem Erfolge ab. Diese sechs waren nicht etwa die Uebrig- gebliebenen aus einer Reihe Nichtbestandener, sondern nur diese sechs hatten sich zur Prüfung gemeldet. Von jedem Gesichtspunkt aus muß dies Resultat als ein überaus erfreuliches bezeichnet werden, da es den Beweis lieferte, daß die geistige Begabung der Mädchen durchaus ausreichend ist zur Erreichung bestimmter wissenschaftlicher Ziele. Auch die späteren Prüfungen waren erfolgreich, und es darf als bezeichnend angesehen werden, daß alle Abiturientinnen der Gymnasialkurse auch Studentinnen geworden sind. Von diesen studieren 4 Medizin, 1 Mathematik, 1 Mathematik und Naturwissenschaften, 4 Philologie und zwar 3 in Halle, 1 in Göttingen, 5 in Berlin. Zu Ostern dieses Jahres gingen vier Aspirantinnen ins Maturitätsexamen und bestanden es glücklich. Was die Gesamtfrequenz dieser Kurse betrifft, so hat Klasse II gegenwärtig 6 Schülerinnen, Klasse III 13, Klasse IV 21 Vollschülerinnen, so das; mit Einrechnung einiger Schülerinnen, die fast alle Fächer mitnehmen, ohne das Examen machen zu wollen, gegen 50 Schülerinnen