306
Keöer Land und Weer.
macht worden waren? Das Komitee, dem auch ein früherer Regimentskommandeur Kurts augehörte, hatte sich zu einer geheimen Beratung zurückgezogen. Plötzlich wurde Kurt in die Beratung entboten. Seinem früheren Kommandeur war es eingefallen, daß Kurt sich bei den harmlosen Regimentsjagdrennen stets als vorzüglicher Reiter hervorgethan hatte. Da fast alle übrigen guten Reiter irgendwie an der Floßhilde interessiert waren, fiel die Wahl auf ihn, mau trug ihm au, die Floßhilde zu steuern, und er sagte nicht nein. Dieser erste Versuch nahm einen glänzenden Verlauf. Kurt gewann mit der Floßhilde den ersten Preis, und der erkrankte Besitzer beteiligte im Uebermaß seiner Freude Kurt in glänzendster Weise an seinem reichen Gewinn." Worauf sich Kurt natürlich die Sache leichter dachte, als sie in Wirklichkeit ist, sich gänzlich auf den Pferdesport legte und elend dabei verkrachte. — Es ist ja ganz und gar nicht notwendig, daß eine Schriftstellerin die Vorgänge auf dem Rennplatz in ihrem Zusammenhänge versteht. Wenn sie aber davon erzählt, darf sie nicht so schrecklichen Unsinn zusammenschreiben, wie ihn in diesen paar Zeilen Dora Duncker zufammengeschrieben hat. Ein Sportsroman aus dieser Feder müßte ein wahres Vergnügen fein.
Noch verschwenderischer als Dora Duncker opfert Hedwig Abt ihrer Muse Menschenleben. Ich habe nicht gezählt, wie viel Tote in ihrer Erzählung „Ein Weib aus dem Volke" (Altenbnrg, Stephan Geibel) auf dem Platze bleiben, aber es ist eine volle Sektion mindestens. Mit Ausnahme der Heldin und zweier während der Erzählung geborener Kinder sterben sie alle. Hedwig Abt hat einen starken Frauencharakter in ihrem „Weib aus dem Volke" zeichnen wollen, der sich durch alle leiblichen und seelischen Nöte tapfer durchkämpft. Da hat sie denn besonders die leiblichen Nöte nicht stark genug betonen zu können geglaubt, um der Wirkung sicher zu fein. Die Heldin wächst in schrecklicher Armut in einem Walddorfe auf. Aber das Mitleid des Lesers mit dieser Armut schwindet, wenn er hört, auf welche einfache Weise ihr abgeholfen werden kann. Trine hört nämlich, daß man in der Stadt für Erdbeeren, Eier, Milch und andre Erzeugnisse des Walddorfes höhere Preise zahlt als im Waitzdorf selbst. Da kauft sie auf dem Lande billig ein, trägt ihre Vorräte nach der Stadt, setzt sie dort zu guten Preisen ab, und die Summe dieser Differenz macht im Lauf der Jahre einen leidlichen Wohlstand für sie aus. Da Trine die einzige Person des Walddorfes ist, die auf diese Idee kommt, auch niemand die Courage hat, ihr die Sache nachzumachen, so ist sie innerhalb dieses Walddorfes zweifellos eine sich durch hohe Intelligenz auszeichnende Persönlichkeit. Aber das Walddorf selbst ist ganz erstaunlich zurückgeblieben, findet der Leser. Und doch auch wieder nicht, denn während die Trine mit einem ganz einfachen Mittel, das nur in einem von der Kultur ganz unbeleckten Winkel noch erst erfunden werden kann, sich ein Vermögen verschafft, bringt der Konrad das seine auf eine Weise durch, die doch stark darauf schließen läßt, daß das Walddorf nicht gar zu weit von den Zentren der Kultur entfernt liegt — indem er achtzehn Seidel manchen Abend im Dorfwirtshaus trinkt und vier bis fünf Thaler verkartet. Dann bricht er sich am Abend, bevor ihm der Hof versteigert werden soll, auf dem Heimwege den Hals. Trine aber, die mal vor langen Jahren feine Braut war, nimmt seine todkranke Witwe und seine hinterlassenen Kinder zu sich auf ihren Hof, den sie sich mit ihrem Eierhandel hübsch aufgebaut hat. Trines Charakterkopf bekommt wieder einen liebenswürdigen Zug, als sie nicht mehr einsam fein muß, sondern den Schatz von Liebe, den sie viele Jahre in ihren: Herzen ängstlich verschlossen gehalten hat, nun über den kleinen Franz aus- schütten kann, den Sohn ihres ungetreuen Schatzes. Wem
Trines Intelligenz nicht übermäßig imponiert hat, dem werden vielleicht ihr Edelmut, ihre Tugend und ihre andern guten Eigenschaftei: mehr imponieren. Mir hätte sie besser gefallen, wenn sie sich, nachdem sie ihrem ersten Schatz den Laufpaß gab, einen zweiten genommen und den geheiratet hätte — wahrscheinlich hätte ich dann Trine, das Weib ans dem Volke, lebendiger vor mir gesehen.
Eine ungewöhnlich interessante Physiognomie ist den unter dem Gesamttitel „Dissonanzen" vereinigten Novellen von George Eg er ton (Berlin, S. Fischer) eigen. Eine Physiognomie, in der sich vielerlei und auch manches, was nicht ganz zu einander passen will, durcheinandermischt — eine ganz scharfe Charakterzeichnnng realistisch gesehener Alltagstypen und wieder Figuren, die ii: ein ganz romantisch anmutendes Milien gestellt sind; ein Hineingreifen in die krasseste Wirklichkeit und ein Vergnügen am Fabulieren; schlechte Frauen, die nur schlecht geworden sind durch die Schlechtigkeit der Männer, und die Frauen im allgemeinen die Männer geistig so weit überragend, daß der Leser sich unwillkürlich fragt, wie es denn möglich sein kann, daß ein nach Ansicht der Verfasserin so viel tiefer stehendes Geschlecht wie das männliche einen so starken Einfluß ans das weibliche ausüben kann. Eine Verfasserin ist George Egerton zweifellos. Dazu eine, die unter den radikalsten Kämpferinnen der Frauenbewegung steht. Aber eine der klügsten und geistvollsten Kämpferinnen nicht nur, sondern auch eine der tapfersten — sie sieht furchtlos dem Leben ins Auge. Selbst wo sie aus einen: nichts beschönigenden Realismus in eine idealistische Schönmalerei zu fallen scheint, wie in der letzten Novelle „Wiedergeburt", da bleibt sie doch in den Grenzen, die eine starke Individualität sich weiter steckt, als es dem großen Durchschnitt jemals möglich sein wird. Das allerdings scheint mir kaum denkbar, daß Mann und Frau in: Augenblick, da sie sich ihre Liebe gestehen, gleichzeitig die Möglichkeit erwägen, daß diese Liebe einmal anslöschen könne, daß er fragt: „Und wenn meine Phantasie hin und her wogt, wenn ich andre Augen, andre Lippen suchte —" und sie antwortet: „Dann sollst du frei sein und gehen dürfen, wohin du willst!" — Sind sie beide so klug, daß sie der Ewigkeit ihrer Liebe nicht trauen, dann werden sie auch so klug sein, ihren: Mißtrauen keinen Ausdruck zu geben. Lieben sie sich aber wirklich, so werden sie auch an die Ewigkeit ihrer Liebe glauben. Gleichzeitig von Liebe und vom möglichen Ende seiner Liebe hat noch niemals ein Mann gesprochen, und niemals würde eine Frau, die wirklich liebt, dieses Nebeneinander ertragen.
Die im Verlag von Edmund Schmersahl Nachfolger, Lübeck, erschienenen „Erinnerungen einer alten Schleswig - Holsteineri n" können nur einen: kleineren Kreise Interesse abnötigen. Zwar befand sich das elterliche Pfarrhaus, den: die Verfasserin entstammt, im Mittelpunkt der Ereignisse, die das Jahr 1848 zu einem für lange entscheidenden für die Elbherzogtümer machten, und der Pfarrherr selbst scheint eine hervorragende Rolle auf deutscher Seite gespielt zu haben. Aber der Verfasserin ist nicht genügend die Gabe anschaulicher Darstellung gegeben; sie erzählt Thatsachen und nennt Menschen, aber sie schildert weder die einen noch die andern. Das kann nur jemand interessieren, der aus eignen Erinnerungen das Fehlende zu ergänzen vermag.
Eine „Geschichte des japanischen Farbenholz schnitt es" von W. v. Seydlitz erschien im Verlag von Gerhard Kühmann, Dresden. Ein stattlicher Band mit 95 Abbildungen, die ganz gewiß mit umfassender Kenntnis und mit bestem Geschmack ausgewählt sind. Aber dennoch wirken sie nur halb; mir scheint, daß eine Reproduktion in Farben gerade hier unerläßlich war. Denn alle japanische Kunst ist mit ganz wenigen Ausnahmen