materiell von den Eltern abhängig und wollen andererseits selbst über ihren Lebensalltag entscheiden.
Mit der deutschen Vereinigung veränderten sich die Entwicklungsbedingungen wie auch die Entwicklungsanforderungen der ostdeutschen Jugendlichen. Die Veränderungen betrafen alle für Jugendliche relevanten Lebensbereiche: die Schule, den Freizeitbereich, die Familie wie auch die Peergroup. Die veränderten Anforderungen an die Entwicklung von Eigenständigkeit und selbstverantwortliches Handeln in der Gesellschaft wurden von Wagner& Sydow(1996) beschrieben. Die erforderliche Anpassung an die neuen Lebensbedingungen und notwendigen Veränderungen in der Selbstentwicklung konnten dazu geführt haben, daß die Jugendlichen in ihrem Lebensalltag viel mehr als zuvor mit Problemen konfrontiert waren. Ihren Niederschlag müßte diese erhöhte Problemkonfrontation in der Wahrnehmung der alltäglichen Probleme finden. Die unsicheren Zukunftschancen für die ostdeutschen Jugendlichen müßten zu einer hohen Problemwahrnehmung in diesem Bereich führen. Die veränderten schulischen Bedingungen und die stärkere Selektion nach Schulleistungen müßten die Schule ebenfalls zu einem bedeutenden Problembereich machen. Von erheblicher Relevanz müßten auch die Probleme mit der eignen Person sein. Diese müßten die Unsicherheiten der Jugendlichen bei den notwendigen Entscheidungen über Lebensziele und Werte reflektieren. Es war auch zu erwarten, daß die Jugendlichen erhebliche Probleme mit den Eltern wahrnehmen würden. Die Eltern waren durch den Transformationsprozeß selbst stark beansprucht und möglicherweise hinsichtlich der angemessenen Interaktion mit den Jugendlichen verunsichert. Schließlich waren auch die Probleme, die sich aus den Beziehungen zu Gileichaltrigen und aus heterosexuellen Beziehungen ergaben, von hoher Relevanz für die Jugendlichen. Bedingt durch die veränderte Schulstruktur und den damit verbundenen Schulwechsel sowie die berufliche Mobilität der Eltern wurden viele Jugendliche mit dem Verlust der vertrauten Peergroup sowie von engen Freunden konfrontiert. Die veränderten Rollenerwartungen können schließlich auch dazu beigetragen haben, daß die Jugendlichen Probleme, die aus heterosexuellen Beziehungen resultierten, vermehrt wahrnahmen. Es wäre auf Grund der allgemeinen Lebenssituation der ostdeutschen Jugendlichen durchaus zu erwarten, daß diese in allen Problembereichen in höherem Maße Probleme wahrnahmen als westdeutsche oder westeuropäische Jugendliche.
Betrachten wir die Ergebnisse der querschnittlichen Datenanalyse zur Problemwahrnehmung 1992, so zeigte sich, daß von den Potsdamer Jugendlichen die zukunftsbezogenen Probleme am meisten zutreffend beurteilt wurden. Befürchtungen, keinen Ausbildungsplatz zu bekommen, arbeitslos zu werden sowie Angst vor Umweltzerstörungen spielen eine vorrangige Rolle. Danach folgten, höher bewertet als in Westdeutschland, die Probleme, die aus heterosexuellen Beziehungen resultierten und die Probleme mit den Eltern. Dagegen wurden schulische sowie selbstbezogene Probleme niedriger bewertet als in Westdeutschland. Insgesamt scheint das Bedürfnis nach Selbstentwicklung befriedigt, das Selbstwerterleben weniger belastet zu sein. Warum dieses Ergebnis anders als bei westdeutschen Jugendlichen ausfällt, bei denen Probleme im Bereich Selbst zu den belastendsten gehören, ist nur hypothetisch anzumerken. Möglicherweise möchten ostdeutsche Jugendliche„intime“ Informationen nur ungern mitteilen. Eher ist jedoch anzunehmen, daß das Thema „Selbstreflektion‘“ anders als in Westdeutschland in den ostdeutschen Ländern keine soziale Norm darstellt. In der DDR gab es keine Selbsterfahrungsgruppen. Nicht Selbstverwirklichung wurde gefördert, sondern Gruppenorientierung. Entsprechend erleben ostdeutsche Jugendliche sich selbst eher weniger als problematisch.
Ebenso waren die Probleme mit den Peers weniger bedeutsam als bei den westdeutschen Jugendlichen(Seiffge-Krenke 1995).