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"Kontinuität und Wandel der deutschen Führungsschicht : Ergebnisse der Potsdamer Elitestudie 1995" ; Zusammenstellung der Vorträge des Symposions vom 11. Oktober 1996 an der Universität Potsdam / Primärforscher: Wilhelm Bürklin
Entstehung
Seite
59
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Die Statushypothese

Während in der Bevölkerung die sozialstrukturelle Verankerung eines Individuums die Inhalte seiner Werthaltungen determiniert(vgl. Barnes/Kaase u.a. 1979; Inglehart 1989, 1994; Groß 1992; Bauer 1993), gelten für Angehörige der Führungsschicht ein höheres Bildungs- und Informationsniveau, die gemeinsame Nähe zu Entscheidungsprozessen und eine sekundäre, institutionelle Rollensozialisation in Verantwortungspositionen als entscheidende Prädiktoren dafür, daß Eliten unter anderem postmaterialistischer eingestellt sind als der Bevölkerungsdurchschnitt(vgl. u.a. Barton 1984; Putnam 1976; McAllister 1991; Hoffmann-Lange 1992). Wenn angenommen wird, daß diese Indikatoren für ostdeutsche Mitglieder von Führungsgruppen ebenfalls Gültigkeit haben, läßt sich folgende Hypothese formulieren:

Ein Mitglied der gesamtdeutschen Elite zu sein, erhöht die Wahrscheinlichkeit postmaterialistischer Wertorientierungen im Vergleich zum Bevölkerungs­durchschnitt, und zwar unabhängig konträrer Systemsozialisation. (Statushypothese)

Ergebnisse

Erstens: Die Positionsinhaber zeigen in der Summe und ohne regionalen Unterschied deutliche Affinität zu postmaterialistischen Werthaltungen, wobei sich die ostdeutsche Positionselite sogar zu mehr als der Hälfte alsreine" Postmaterialisten definiert. In den Bevölkerungen hingegen dominieren die Mischtypen, die jeweils einen Indikator für materialistische und postmaterialistische Werte auf Platz Eins und Zwei ihrer Prioritätenliste setzen. Allerdings definieren sich dabei drei mal so viele West-(21%) wie Ostdeutsche(7%) als Postmaterialisten(vgl. Tab. 1).

Tabelle 1: Anteil von Materialisten und Postmaterialisten in ost- und westdeutscher Elite und Bevölkerung(Spaltenprozentwerte)

OST

%

MAT/POSTMAT

POSTMAT/MAT

POSTMAT

' Bezeichnet dieHerkunfts-Elite, bestimmt nach Geburtsort.

Dieses Ergebnis kann als Bestätigung der Statushypothese angesehen werden, wenn darüber hinaus berücksicht wird, daß der Grad formaler Bildung als sozialstrukturelle Hintergrundvariable für die Ausprägung postmaterialistischer Werthaltungen unter den gesamtdeutschen Eliten tatsächlich keine, in der Bevölkerung der neuen und alten Länder jedoch die ausschlaggebende Rolle spielt.

Zweitens: Dieser Befund verdeckt jedoch, daß Postmaterialismus von den Eliten in Ost- und Westdeutschland unterschiedlich interpretiert wird. Betrachtet man die Prozentverteilung der jeweils erstplazierten Indikatoren für Mmaterialistische und_postmaterialistische Werte unter den Positionsinhabern, wird deutlich, daß ein partizipatorischer Postmaterialismus im Osten einem freiheitlich-liberalen Postmaterialismus im Westen gegenübersteht(vgl. Tab. 2).